: Zum Folterer wird man gemacht
■ Eine niederländische Studie zeigt Persönlichkeitsmerkmale von Folterern auf
„Ich kann nur sagen, wenn du zum ersten Mal diesen Job machst, ist es schwer, du schlägst dich selbst und weinst, wenn dich jemand sieht. Später dann weinst du nicht mehr, du fühlst dich nur traurig. Und noch später, vielleicht ohne es zu wollen, gewöhnst du dich daran. Ja, bestimmt, es kommt ein Moment, da fühlst du nichts mehr bei dem, was du tust.“
Ein chilenischer Folterer, der im Namen der Militärregierung Menschen mißhandelte. Er desertierte – und ist damit eine Ausnahme. Die weitaus meisten Folterer bleiben bei ihrem grausamen Handwerk, solange die Befehlshaber es erwarten. Im allgemeinen heißt es, Folter diene dazu, aus Gefangenen Informationen herauszupressen. Doch sie soll auch bestrafen und Menschen psychisch zerbrechen, um alle politisch Andersdenkenden nachhaltig einzuschüchtern.
Wie aber finden Regierungen überhaupt Menschen, die bereit sind, andere zu mißhandeln? Dieser Frage gingen Wissenschaftler des Instituts für soziale Konflikte im niederländischen Leiden nach. Sie untersuchten dort, welche Persönlichkeitsmerkmale Folterer mitbringen und mit Hilfe welcher psychologischen Strategien Militär und Polizei Menschen soweit bekommen, andere regelmäßig und systematisch zu mißhandeln.
Das Vorurteil, alle Folterer seien Sadisten, stimmt nicht. Wohl handelt es sich um Menschen, die bereits in ihrer Kindheit verbogen wurden: Eine autoritäre Erziehung machte sie sehr gehorsam, viele wurden als Kinder mißhandelt. Zudem verfügen junge Männer, die für ein Foltertraining ausgewählt werden, in der Regel über eine schlechte Schulbildung und stammen aus armen, ländlichen Regionen – das heißt, ihnen stehen wenige Berufe offen.
Die Karriere eines Folterers beginnt mit militärischem Drill. Märsche und Manöver, Kommandos fraglos akzeptieren, das ist das kleine Einmaleins jedes Soldaten. In totalitären Staaten verlangt das Militär mehr: Körperliche Strapazen enden erst bei völliger Erschöpfung der Rekruten, der Gehorsamkeitsdrill geht bis zur Entwürdigung. Die Offiziere beobachten genau, wer sich diesen Zwängen besonders willig beugt. Dazu testen sie, wieviel Gewalt der Rekrut erträgt. Ein authentischer Fall: Ausbilder zeigen einen Film, in dem einem Mann ein Ohr abgeschnitten wird. Junge Männer, die umkippen oder den Raum verlassen, weil ihnen übel wird, kommen nicht in Frage. Diese Einübung in Grausamkeit steigern die Ausbilder nach und nach; schließlich schneidet jemand direkt vor den Augen der versammelten Rekruten einem Mann ein Ohr ab. Wer das aushält, scheint für ein Foltertraining geeignet. Die Ausbildung beginnt in der Regel, wenn die jungen Männer noch in der Pubertät stecken, einem Alter also, in dem die Persönlichkeit noch formbar und nicht in sich gefestigt ist – und damit leichter zu manipulieren.
Zunächst schaffen die Ausbilder ein Klima, in dem Rekruten lernen, Folter als notwendig zu akzeptieren. Dazu gehört eine massive politische Indoktrination, damit die jungen Männer sich vollkommen mit der Ideologie des Staates identifizieren. Gleichzeitig werden alle politischen Gegner zu gefährlichen Terroristen hochstilisiert. Dem Rekruten wird eingepaukt: „Wenn es dir nicht gelingt, in sehr kurzer Zeit die notwendigen Informationen aus dem Gefangenen herauszufoltern, dann wird sehr schnell deine Familie, wirst du selbst zum Opfer des Terrorismus der Gegenseite.“ Diese Vertreter der Gegenseite gelten als Unmenschen, die deshalb auch keine humane Behandlung verdienen. Typisch die Aussage eines Befehlshabers während der griechischen Junta: „Kommunisten sind Bestien. Wir machen keinen Unterschied zwischen Menschen und Menschen, nur zwischen Menschen und Bestien.“
Wer regelmäßig und systematisch andere schwer mißhandelt, ist dazu in der Lage, weil er von Haß getrieben wird. Um solchen Haß zu schüren, setzen Ausbilder die Rekruten selbst massiver körperlicher Gewalt aus. Gleichzeitig demütigen, verhöhnen, entwerten sie ihre Untergebenen. Die jungen Männer erleben – wie Psychologen sagen – eine Extremtraumatisierung. Durch diese Traumatisierung im körperlichen und im seelischen Bereich bilden sich unbewußt sehr schwere, aggressive Strömungen aus.
Kaum ein Folterer schert aus. Befehlshaber wissen, wie sie ein solches Risiko minimieren. So lassen sie Folterer ausschließlich in Gruppen agieren. Denn allein mit dem Opfer – dafür gibt es viele Beispiele – fällt es auch dem übelsten Folterer schwerer, Unmensch zu sein. In der Gruppe aber findet eine soziale Kontrolle statt, man will oder darf nicht aus der Reihe tanzen, sonst – vermuten viele – ist man womöglich selbst dran. Ebenso paradox wie wahr ist, daß in einer Gruppe alle Mitglieder eine bestimmte Handlung ablehnen können, diese aber doch ausführen, weil jeder denkt, die Mehrheit in der Gruppe wolle es so. Unterstützt wird dies durch die Arbeitsteilung: Einer fragt, einer schlägt, der Dritte protokolliert, der Vierte untersucht, ob das Opfer noch einen Pulsschlag hat. Das erleichtert, Verantwortung abzuschieben.
Wechselt eine Regierung, setzt ein Prozeß der Demokratisierung ein, kommen Folterer im allgemeinen ungeschoren davon. Beweismaterial haben sie oder die Befehlshaber vernichtet, oft profitieren sie von einer Amnestie. Doch Psychologen warnen: Die Persönlichkeit dieser Menschen wurde im Laufe jener Zeit, in der sie ihr blutiges Handwerk ausübten, immer stärker deformiert. Das Gefühl, Herr über Leben und Tod zu sein, verschafft große Befriedigung – jedenfalls dann, wenn Routine ein Erschrecken über das eigene Tun verdrängt hat. Diese Menschen bleiben eine Gefahr für die Gesellschaft – ihr Leben lang. Peggy Fuhrmann
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