■ Künftig nur noch unter sicherem Geleit: Nachdem die Durchführung privater Hilfsaktuionen für die Hungernden in Bosnien an politischer Naivität und Leichtsinn scheiterte, wollen jetzt erfahrene deutsche Hilfswerke einen Konvoi organisieren
Künftig nur noch unter sicherem Geleit
Als der Konvoi Anfang Januar von der dalmatinischen Hafenstadt Split aus in Richtung Bosnien startete, hatten alle Beteiligten noch ein gutes Gefühl. Denn die sechs Lastwagen waren bis auf den letzten Zentimeter Ladefläche mit Lebensmitteln und Medikamenten, Decken und Kleidung gefüllt. Vor Weihnachten, als die Nachrichten über den Hunger der Menschen in Bosnien auch in Deutschland die Menschen bewegte, waren in Aachen, Stuttgart, Tübingen und in sächsischen Städten viele Pakete gepackt worden. Und eine Woche lang hatten sich die zehn Fahrer und Organisatoren des Konvois mit Hilfe des deutschen Konsulats in Split bemüht, von den kroatisch-bosnischen Behörden und von der UNO die notwendigen Papiere für die Durchfahrt zu erhalten. Es war den Konvoi-Fahrern, unter ihnen Bernd Dombrovski vom „Internationalen Friedensdienst“ aus Stuttgart und Heinz Jussen vom „Aachener Netzwerk“, sowohl von der UNO als auch von kroatisch-bosnischer Seite sogar militärischer Schutz zugesichert worden. So schien alles für die Weiterfahrt geregelt zu sein.
Doch schon einige Kilometer hinter der bosnischen Grenze, in Tomislavgrad, in der vom „Kroatischen Verteidigungsrat“ (HVO) kontrollierten Zone, begannen die Schwierigkeiten. Die britischen UNO-Kontrolleure verlangten plötzlich Schneeketten für die Weiterfahrt, die bei einem der Lkw nicht vorhanden waren. Ein anderer Lastwagen wurde wegen zu großen Achsabstandes zurückgewiesen. Denn ab Tomislavgrad muß sich der Konvoi über eine Piste bewegen, die gerade im Winter in dem bergigen Gelände ihre Tücken hat. Als schließlich einer der Fahrer von einem HVO-Soldaten bedroht wurde, war die Stimmung endgültig dahin.
Erst zwei Tage später gelang es, die restlichen vier Lkw auf die Strecke zu bringen. Langsam quälten sie sich über die Piste bis nach Prozor, wo das eigentliche Kriegsgebiet beginnt. Und als sich der Konvoi dem letzen kroatischen Checkpoint bei Gornji Vakuf näherte, wurde die Lage bedrohlich: Von dem versprochenen Geleit durch UNO-Truppen war weit und breit nichts zu sehen. „Wir mußten auf Geheiß der HVO-Soldaten aussteigen und wurden an eine Wand gestellt“, berichtete der Fahrer Norbert Römisch. Papiere und Geld wurde den Deutschen abgenommen, einer von ihnen verhört. Es seien Waren auf den Lkw, die gemäß des Abkommens der Kriegsparteien vom 19. November 1993 nicht nach Zentralbosnien mitgeführt werden dürften, sagten die HVO-Soldaten. Als endlich britische Unprofor-Soldaten eintrafen und die deutschen Fahrer unterstützten, kam es immerhin zu einem Kompromiß: Die Lkw sollten umkehren, eine „faire Behandlung“ wurde zugesichert.
Erneuten Ärger gab es jedoch, als sich herausstellte, daß eine Mitfahrerin falsche Papiere hatte und einige Fahrer Medikamente, Briefe und Zeitungen in ihren Autos versteckt hielten. Geld und Kameras, Filme und Videos wurden einbehalten. Die Hilfsgüter wurden schließlich in kroatische Flüchtlingslager überführt, die Lastwagen konfisziert, die Fahrer mehrere Tage festgehalten.
Inzwischen sind die Lkw den Organisatoren zurückgegeben worden. Doch so oder ähnlich ist es schon einigen der Initiativen ergangen, die, auf die eigenen Fähigkeiten vertrauend, erst vor Ort begannen, ihre Reise durch das Kriegsgebiet zu organisieren. Dabei unterliefen ihnen die gröbsten Fehler. Bei manchen Konvois waren sogar bosnisch-muslimische Fahrer angeheuert, die den Kroaten als „Feinde“ gelten und im kroatisch kontrollierten Teil in größte Gefahr gerieten. Selbst der große Konvoi „Brücke der Hoffnung“, der sich mit über 60 Lastwagen schon vor Weihnachten von Deutschland aus in Richtung Ex- Jugoslawien auf den Weg gemacht hatte, ist steckengeblieben. Der größte Teil der Hilfsgüter war zwar von vornherein für die bosnischen Flüchtlingslager in Slowenien bestimmt. Doch 15 bis 20 Lkw sollten von dort aus unter der Schirmherrschaft von IIRO (International Islamic Relief Organisation) und von „Help – Hilfe zur Selbsthilfe“ über Split nach Zentralbosnien fahren. Das Resultat: Nur 15 Tonnen Lebensmittelpakete haben es gerade in das Lager der französischen Hilfsorganisation „Equi Libre“ in Split geschafft, dazu noch ein Lkw aus Bremen. 88 Tonnen Lebensmittel aus EG-Beständen liegen in einem anderen Lager in Split.
Nur Profis gelingt es, ihre Konvois durch das Kriegsgebiet zu schleusen
Einzig zwei Bremer Lkw der Aktion „Brücke der Hoffung“ ist es gelungen, Mitte Januar mit 32 Tonnen Lebensmitteln via Serbien nach Tuzla zu gelangen. Die Bilanz der privaten deutschen Aktivitäten bezüglich der Weihnachtsaktion ist somit bestürzend: Bisher ist außer den Bremer Lebensmitteln und zweier Lkw der Hilfsorganisation „Cap Anamur“ von Rupert Neudeck, die Ende letzter Woche Ost-Mostar erreichten, kein einziges Gramm zu der hungernden Bevölkerung in Bosnien gelangt. Dies bestätigt auch Christian Clages, Chef der „Deutschen Humanitären Hilfe“ in Zagreb.
Es gelingt zwar manchmal auch kleineren, regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs), durch die Frontlinien nach Zentralbosnien zu schlüpfen. So konnte ein großer privater Konvoi aus Edinburgh und der nun aufgelösten deutschen Organisation „Logistic Service“ noch vor Weihnachten die berüchtigte Strecke zwischen Gornji Vakuf und Vitez unbeschadet bewältigen. Aber solche Erfolge privater Hilfsorganisationen werden immer seltener. Nur den erfahrenen, professionellen Organisationen wie „Care-Australia“ und vor allem der französischen Organisation „Equi Libre“ gelingt es immer wieder, nach langen Verhandlungen mit dem UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und der kroatischen HVO, ihre Konvois durch das Kriegsgebiet zu schleusen. Der Preis, über den nicht gern gesprochen wird, ist hoch: Hilfslieferungen und eigens dafür zusammengestellte Konvois gehen auch in die kroatisch bzw. serbisch kontrollierten Gebiete. Unter den gegebenen Umständen lassen sich solche Auflagen nur durch Abwürfe aus Flugzeugen umgehen. Die private Berliner Initiative „Keine Mauer durch Sarajevo“ von Kemal Fazlagić und Petra Morawe versucht nun deshalb, grünes Licht für den Abwurf ihrer Hilfspakete durch UNO-Flugzeuge zu erhalten.
Die gleichrangige Verteilung der Hilfsgüter an alle kriegführenden Parteien ist Grundsatz der UNHCR. Aber auch deren Konvois sind nicht immer sicher, die kroatischen und serbischen Kriegsparteien scheuen sich oftmals nicht, selbst die UNO-Fahrzeuge an der Weiterfahrt zu hindern. Bestürzend sind zudem die organisierten Demonstrationen von kroatischen und serbischen Frauen, die versuchen, Hilfskonvois für die Hungernden in Zentralbosnien zu stoppen, so kürzlich einen Konvoi nach Maglaj, wo „die Menschen nur noch aus Haut und Knochen bestehen“ (UNO-Bericht vom 19. Januar). Deshalb hat nur ein Teil der für das Überleben berechneten Mindestmenge die Hungernden erreicht, je nach Region zwischen fast 0 (Maglaj), 15 (Tuzla) und 40 (Sarajevo) Prozent, im ganzen nur 20 Prozent der vorgesehenen Menge für Dezember.
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