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Das teuerste Baby der Welt

Ein „Stern“ geht auf – mit Noah Gabriel Becker / Im Kampf um das erste Bild schlägt das Hamburger Magazin alle Konkurrenten aus dem Feld  ■ Von Josef-Otto Freudenreich

Berlin (taz) – DAS BILD. Alle wollen es haben, alle wollen es sehen. Das Bild von Noah Gabriel Becker, sieben Pfund schwer, 52 Zentimeter groß, mit einem gewissen Teint, den er, Boris, im Winter nicht habe. So präzise hat der stolze Vater seinen Sohn in Gottschalks „Late Night Show“ beschrieben. Aber wir wissen es: Was sind tausend Worte gegen ein Bild.

Das Ereignis des Jahres darf nicht unsichtbar sein. Die Deutschen sind deshalb „sauer auf Boris“, schreibt die Zeitung Bild, und weil das nicht gut ist für Land und Blatt, fordert sie ihn ultimativ auf: „Sei ein Mann – Zeig deinen Sohn!“ Doch Becker, der Querkopf, er denkt nicht dran. Das Licht der Öffentlichkeit erblickt Noah Gabriel erst, wenn der Stern aufgeht. Also am Donnerstag.

Der Bub vom Bobbele wird die Hamburger Populisten rund 250.000 Mark kosten, und damit ist er nicht nur das teuerste Baby der Welt, sondern auch die Nummer eins in der Honorarhitliste der Republik. Noch nie, so versichern Branchenkenner, ist für Fotos soviel Geld bezahlt worden. Matthias Rust, der Kreml-Flieger und bisherige Spitzenreiter, ist für 150.000 Mark über den Ladentisch gegangen.

Wundersam ist daran wenig. Klein- Becker ist das Objekt der Begierde jener Medienkonzerne, die um ihre Auflagen in schweren Zeiten kämpfen. Ein Titel mit Noah Gabriel kann eine zehnprozentige Steigerung bringen, schätzt der frühere Bild-Chefredakteur und heutige Medienberater Werner Rudi, und er schaffe das Image publizistischer Omnipotenz: Wenn wir wollen, kriegen wir alles. Danach müßte der Stern von Gruner und Jahr, der Springer und Burda aus dem Feld geschlagen hat, der Stärkste sein. Ist dem denn wirklich so?

Am Geld allein, soviel steht fest, kann das nicht gelegen haben. Davon haben, im Zweifel, alle genug. Der Charme des Scheckbuchs wirkt bei einem Becker nur begrenzt, der exzentrische Weltstar verlangt mehr Aufmerksamkeit, und die hat ihm das Hamburger illustrierte Magazin angedeihen lassen. Schwiegervater Ross Feltus, ein bis dato unbekannter Fotograf, durfte das Paar nackend auf dem Titel ablichten; zur Verlobung grüßten Boris und Babs über neun Seiten hinweg mit Gedanken zu Liebe, Alltag, Ängsten und Sehnsüchten, und als die Folgen davon bekannt wurden, schritt Chefredakteur Rolf Schmidt-Holtz selbst zur Tat. Er schrieb einen Brief an den werdenden Vater, in dem er um das Recht des ersten Bildes (ius primae imaginis) bat. Und weil die Post eine Schnecke ist, klebte er lieber keine Mark drauf, sondern sandte einen Redakteur aus, der nicht nach Leimen und nicht nach München-Bogenhausen, sondern nach Sydney fahren mußte. Dort spielte der Adressat gerade Tennis.

Man stehe eben, bestätigt Vize- Chefredakteur Ernst Fischer auf Anfrage, „seit langem gut mit den Beckers“. Und im übrigen verwahre er sich ganz energisch dagegen, daß es sich hier um einen „Millionendeal“ handele. Ein „Bruchteil“ sei das, und jenen gedenke Boris auch noch an eine karitative Einrichtung für Kinder zu spenden.

Die Mutter Teresa der deutschen Publizistik hätten die Konkurrenten gewiß auch klaglos gespielt. Aber was tun, wenn nichts geht? Burdas Bunte löste das Problem noch am geschicktesten, indem sie den Schriftsteller Wolf Wondratschek über das schwere Los der Abschußfotografen (Paparazzi) berichten ließ, die Frau Feltus rund um die Uhr belauerten. „Da stand der Caravan aus Hamburg“, beobachtete der Literat genau, „und unten tropfte was raus. Tatsächlich, drinnen pinkelten die drei nacheinander ins kleine Waschbecken.“ Was tut man auch nicht alles für die Voyeurgesellschaft!

Aber Springers Objekte, wie sollten sie reagieren? In Bild der Frau hätte Babs von der Geburt erzählen, in Auto-Bild hätte Boris Kindersitze testen und in Bild einen Wickelkurs mit Noah Gabriel absolvieren können. Aber womit illustrieren? Die Paparazzi-Agenturen offerierten Babs auf dem Weg zum Frauenarzt, Babs am Fenster ihres Hauses und als Höhepunkt „Leibwächter mit Tasche, in der vermutlich das Baby aus der Klinik geschmuggelt wurde“ (Foto Press Hamburg).

Ob sie diese Offenbarungen mangels Material oder aus Einsicht in juristische Zwänge verschickt haben, ist noch unklar. Zwar haben sich Anbieter bei diversen Blättern gemeldet, die sich als lichtbildnerische Pfleger in die Beckersche Entbindungsklinik geschlichen haben wollen, aber aufgetaucht ist bis zur Stunde kein Babybild. Gut möglich, daß sie allesamt vor einem gekuscht haben, der in der Branche als Rächer des Verehrten gefürchtet ist: Axel Meyer-Wölden (AMW), Rechtsanwalt und Berater Beckers. Er war es, der Impresario Ion Tiriac zur Nummer zwei im Tennisgeschäft degradiert und dessen Zögling übernommen hat. Und er hat den Exklusivvertrag mit dem Stern ausgehandelt.

Kaum ist ihm von seinem Mandanten zugetragen worden, daß „unberechtigterweise Fotoaufnahmen in der Klinik gemacht werden“, überzog er alle einschlägigen Redaktionen mit Faxen, in denen er juristische Konsequenzen androhte. Jeder, der solche Fotos ankaufe oder verwerte, werde „zivilrechtlich in Anspruch genommen“, ließ seine Kanzlei wissen.

Für Springer war dies ein schwerer Schlag. Immer wieder hat man bei AMW angefragt, immer wieder um Informationen gebeten, und immer wieder ist man „abschlägig beschieden worden“, wie Chefredakteur Paul C. Martin klagt, der „glücklich wäre, wenn wir Boris wieder hätten“. Verständlich schon, waren sie doch Gerüchten von Feltus-Friseurinnen aufgesessen, die das werdende Kind exklusiv und in großen Lettern zum Mädchen werden ließen. „Dumm gelaufen“, meint Martin, „aber Becker spricht ja nicht mit uns. Wir sind für ihn nicht existent.“

Und das ist für Europas auflagenstärkste Zeitung ziemlich verheerend. Ausgerechnet dieser Mensch, der die Menschen verrückt macht, der „klassische Boulevardtyp“ (Martin), er verweigert sich. Schon legendär sein Spruch über seine Oma, vor der er sich „für jeden Scheiß“ rechtfertigen müsse, der in Bild stehe.

Die Wahrheit reicht noch tiefer: Der Alltagsphilosoph aus Leimen hat spätestens Ende der achtziger Jahre erkannt, daß er im Kampf der Medienkonzerne Spielball war. Sie haben ihn getrieben, ausgebeutet, nach Belieben benutzt. Und dagegen wehrt er sich. Es sollte ihn „keiner mehr greifen können“, erklärte der 26jährige jüngst der FAZ. Becker-Vertraute glauben das Schlüsselerlebnis zu kennen. Es ist „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, ein Roman von Heinrich Böll, in dem er die Qualen einer jungen Frau beschreibt, die in die Fänge eines Boulevardblatts geraten ist.

Seitdem versucht Becker seine öffentliche Vermarktung selbst zu steuern. Er arbeitet nur noch mit „gehobenen Medien“ (Martin) zusammen und erzählt dort von Begegnungen mit Peter Ustinov oder Günter Grass, der ihn über Sisyphus aufgeklärt hat. Die griechische Sagengestalt sei einer wie er, sagt Becker. Auch er rolle den Stein immer wieder den Berg hoch und wisse doch, daß er wieder von vorne anfangen müsse.

Noch ist nicht bekannt, womit uns der badische Feuerkopf am Donnerstag überraschen wird. Sicher ist nur, daß die Stern-Kollegen am Wochenende zur Audienz nach München zitiert worden sind und nun hoffen, daß sich Babs' Prognose nicht erfüllt. „Kinder, ihr könnt heimgehen“, hat sie den Paparazzi zugerufen, „an meinem Baby ist in Deutschland kein Arsch interessiert.“

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