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Mein erster Vollrausch (Extended Limonadenversion)

■ Das Buch zum Bremer Literaturförderpreis: Peter Webers munter delirierender Erstlingsroman „Der Wettermacher“

Das ist es ja gerade, was wir an den sog. Erstlingswerken lieben: dieses unverschämte Drauflosschreiben, frisch von der Leber weg (irgendwie); einfach die Phantasie ins Kraut schießen lassen, daß es kracht – auch, wenn der Nachhall zügig in der Luft verfliegt. So ist Peter Webers „Der Wettermacher“. Ein Musterbuch für den deutschen Nachwuchsroman, mit allen handelsüblichen Vor- und Nachteilen. Eine frische Brise, daran sich der Leser laben kann, ohne Risiken, Nach- und Nebenwirkungen.

Die Zügellosigkeit, verbrieftes Recht jedes Erstromanverfassers, hat Weber (Bj. 68) zum Ersten und Letzten Gebot erhoben. Suhrkamps Klappentextschreiber haben sich zwar bemüht, aus dem ganzen Wust ein Handlungsfädchen herauszuzupfen: Angeblich gehe es um den August Abraham Abderhalden, der an seinem 20. Geburtstag seine Lebensgeschichte Revue passieren lasse, um sich selbst als Nachfolger der mythischen Schweizer Wettermachergilde zu enttarnen. Dafür kann man dann getrost „Roman“ draufschreiben. Weber dürften solche Kategorien herzlich egal sein: Sein ganzes Sinnen und Trachten geht dahin, den dünnen Faden zu zerfransen und zu verknäulen, um sich selbst (und mit ihm den Leser) vollständig und rettungslos drin zu verwickeln.

So setzt Weber seine ganze, frühe Meisterschaft daran, seinen Sprachwitz an allen erdenklichen Gegenständen abzureagieren. Sei's die heimatliche Geografie und Geologie, die des Fleckens „Toggenburg“ nämlich, deren Poesie und chemische Zusammensetzung auf's Ausführlichste besprochen werden; sei's die eigene, übersinnliche Wahrnehmung des Erzählers: „Lärm dirigierte ein Orchester von Tuten und von Blasen. Lärm spielte erste Geige. Lärm wetterte und wetterte. Lärm machte meinem Wetter Beine. Lärm sprach elf Sprachen gleichzeitig...“ uswusf. Kein Thema zu knifflig, als daß es nicht in voller Breite durchkonjugiert werden könnte.

Munter wechselt Weber die Erzählperspektiven, die Adressaten und den Tonfall. Im günstigen Fall kommen sogar reihenweise neue Wortschöpfungen zustande. Die urmusikalischen Bewohner des Glarnerlandes, so lautmalt der Autor, sind z.B. sämtlich „Kreischer, Driesler, Friemler, Schrummer und Kläger“. So geht es alleweil, gut 300 Seiten durch. Das ist wohl recht vergnüglich, aber das Prinzip hat der Leser dann doch nach 1,5 Seiten kapiert und goutiert.

Schon wird dem Weber „großer Atem“ attestiert. Aber in seinem allgefälligen, um jeden Förderpreis originellen Phantasieren erweist er sich dann doch als reichlich kurzatmig. Zumal sich der Autor – auch das gehört zum Recht des Ersten Buches – seine Themen aus der eigenen, schmalen Biografie zu schöpfen scheint. Denn der Wettermacher: Das ist natürlich Weber selbst, gebürtiger Toggenburger, wie er sich sein bisheriges Leben zusammenreimt. Die Erlebnisse der Kindheit und Jugend nimmt Weber als Modelliermasse und formt sie nach Belieben und Vergnügen um: Liebe Eltern, so hätte es sein können... Weil sich der Held/Autor aber mit magischen Fähigkeiten ausgestattet wähnt, bezieht er, Kapitel für Kapitel, den Rest der Welt mit in sein kleines Leben ein. Ein kauziger Halbgott, der wettert und wettert, der Toggenburg und den Rest der Welt in seinen phantastischen Kosmos einverleibt, bis ihm und allen Beteiligten der Schädel brummt.

Vom großen „Erzählfluß“ ist zwischendurch die Rede: Daran will der Wettermacher sich besaufen, bis zum Ertrinken. Doch es fließt nichts, es rauscht nur gehörig. Und da ist es wie mit jedem Rausch: Knallt gut, macht dicken Kopf, und ist am nächsten Nachmittag verflogen und vergessen.

Thomas Wolff

Peter Weber: Der Wettermacher. Frankfurt (Suhrkamp) 1993, 315 S., 39,80 Mark

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