: Wo der Kaffeesatz in den Gedärmen knurrt
■ Der Bremer Literaturpreis wird immer noch unerforschlicher: Über Wolfgang Hilbigs Stasischwarte „Ich“
Ja wenn der Stasispitzel erzählt, der läßt nichts aus: Kellerlöcher, Bieselwetter, dunkle Gänge, Lug und Trug, Schnüffeln, Schnuffeln, IM Reader, alles drin. Der prachtvollste Satz in diesem Buch aber ist der folgende: Welch eine Simulation war doch diese Wirklichkeit! In einem Satz das ganze Weltall, wie es dröhnt und kracht! Doch dieser hier, der ist schon auch nicht schlecht: ...und so hatte jene Viertelstunde, die ihre Finsternis in ein Amtszimmer gekippt hatte, den gesamten Berichtszeitraum ins Vergessen gestürzt, der davorgelegen hatte...über meine Herkunft, über all meine Bindungen aus der Zeit davor war der taube Qualm des Erlöschens gesunken...und aus dem Gang, den ich hinter mir gelassen und ausgeschaltet hatte, war das Ich verflogen, dem ich gedient hatte, seine Wirklichkeit war verflogen wie das Ergebnis einer Simulation.
Das hat mit seinem Singen der Baudrillard getan! Hinten und vorn alles nur Schall und Qualm in dieser vorgeblichen DDR bzw. „DDR“, in welcher selbst das gute alte „Ich“ nur noch in Gänsefüßchen fortbesteht! Solcherweis Gedanken rauschen dem Stasispitzel M.W. durch den Schädel, indem er über hunderte von Romanseiten beharrlich seinen Werdegang bedenkt oder, wie Hilbig sagen würde, „auf“ ihn „reflektiert“.
Kurzum, das Lesen ist eine Marter, schon nach fünfzig Seiten umwallt einen der taube Qualm des Erlöschens, aber Gottchen, für dieses Werk hat der Hilbig den bremischen Literaturpreis mitsamt 30.000 Mark eingesackelt: Also herzhaft in die saure Pflicht gebissen und voran!
Nach weiteren fünzig Seiten wären schon reichlich Zitate beisammen gewesen für unsere Reihe „Die zwanzig schönsten Sätze aus...“, und sehr schöne darunter wie etwa der von dem Unglauben, welcher „der knurrende Kaffeesatz in unseren Gedärmen“ sei. Aber Hilbig hat beileibe dafür gesorgt, daß einem das Lachen auch gleich wieder vergeht, denn das „Ich“ des Romans hört nicht auf zu beschreiben, wie es sich mählich mit der Staatsmacht verstrüppt hat, aus lauter Überdruß und Daseinsleere irgendwie.
So erfahren wir allezeit, was wir gewißlich schon wußten, und dafür in aller literaturmäßigen Umständlichkeit. Die DDR geht programmatisch zugrunde, weswegen es alleweil düstert, regnet und stinkt, ja es sinkt die ganze Aufklärung mit ihr dahin und endet im geheimdienstlichen Wortsinn, so wie man sich Aufschluß nur noch mit dem Dietrich verschafft und der Führungsoffizier Feuerbach heißt.
Wo sich dermaßen ambitioniert nicht weniger als alles aufhört, macht man natürlich auch nicht einfach das Licht aus, nein: Ich ließ den Schalter nach unten kippen, und die zurückgelegte Wegstrecke erlosch hinter mir, als wäre sie nie ein Segment meiner Wirklichkeit gewesen. So geht es dahin und dahin, und am Ende, wenn die Langeweile in all ihrer Imposanz durchmessen ist, muß man schon sagen: Unsere Jury arbeitet schwer an ihrer Unerforschlichkeit.
Allerdings sind diesem Autoren, der im Jahre 1985 in die Bundesrepublik überwechselte, schon schwererwiegende Preise nachgetragen worden, und die Presse, allen voran die FAZ, beschnattert seither unbezwinglich Hilbigs „Sprachmächtigkeit“. Das ist nun mal die Lage, das ist die ganze Situation.
Man soll aber schon auch sagen, was Hilbig kann: Wenn die DDR ein Insektenstaat gewesen wäre, müßte man sein Buch höchlich loben. Dieses Umeinanderkrabbeln und Beschnuppern, dieses unaufhörliche Stasigewusel, welches keine Ruhe hat, ehe nicht alles Untertanenvolk einverleibt und dienstverpflichtet ist, ehe nicht alle einander betrillern um und um, diese hirnlos gedeihende Käferhaftigkeit hat schon ihr Frappantes.
Die sonderlichsten Wesen verdanken wir dem Autoren; er aber schaut auf ihr Gewimmel mit der Akkuratesse des Feinmechanikers, der dies alles ersonnen hat, und siehe, es ist kein Leben darin. Die Frage ist nur, was uns das scheren muß. Entweder er kann's, oder er kann's nicht, oder, noch banaler, er ist ein solcher Hasser, daß ihm schon rein aus Ingrimm unter all den automatischen Tierchen kein einziger Mensch eingefallen ist.
Für uns läuft das alles am Ende aufs selbe hinaus: Sein „Ich“-Erzähler ist die leibhaftige Nullität, der aus Langeweile eine Schnüffelnase wächst, und die erste Frau, die den Roman betritt, ruft folgende ungeheuerliche Worte hervor: Sie hatte ein etwas zu glattes, ausdrucksloses Gesicht, ein offenes Gesicht, das aber gleichzeitig distanziert und schwer zu erreichen war. Hier nichtet schauerlich das originale Nichts und macht uns nieder, und niemand soll sagen, das sei bloß die Parodie auf des Spitzels fade Leier, denn eine Parodie, die bloß nachmacht, vermehrt noch den Quargel und ist eine größere Untat, als dieser je sein könnte.
M. Dworschak
Wolfgang Hilbig: „Ich“, S. Fischer, 378 Seiten, 39,80 Mark
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