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Sicher stehen auf schwankenden Planken

■ Achim Reichel feiert seinen 50. Geburtstag mit zwei Birthday-Paadies gestern und heute in der Großen Freiheit

Welch ein Fest, was für ein Anlaß. Mit Achim Reichels fünfzigstem Geburtstag wurde soeben auch ein Stück Hamburger Rockgeschichte feucht-fröhlich gefeiert. Der Sohn eines seefahrenden Stewarts erinnert sich und bringt Ordnung in die Kombüse: „Die Vergangenheit holt mich nicht ein, sie ist ein Teil von mir. Warum soll man das nun verleugnen, es hat seinen Platz. Das war eine Anfangsphase, wo alles Formen bekam und wir damals noch gar nicht erkennen konnten, daß wir mit einem gewaltigen Vulkanausbruch an den Rockhimmel geschossen wurden“.

Die Rede ist von den guten alten Star-Club-Zeiten und der Rattles-Reunion, die schon nach zwei LP's wieder auseinanderbrach. Das war für ihn wie ein Klasssentreffen. Mehr nicht. Reichel hat seinen maritimen „St. Pauli Blues“ inzwischen derart verinnerlicht, daß er als Solist glänzend klar kommt.

Seine Vita hat ihn längst geadelt, der Hafenrand schwenkt seine Piratenflagge zur Birthday-Paadie. Dabei kommt die Reichel-Story nicht ohne die Aufzählung von Niederlagen aus. Auf dem ersten Höhepunkt der jungen Beatnik-Karriere wird er 1966 zum Bund eingezogen, er hatte den Antrag falsch begründet, die Amtsbüttel gerierten sich prompt wie schlaue Hitparadenkenner: „Es liegen bisher keine Anzeichen dafür vor, daß Beatmusik in naher Zukunft aus der Mode geraten wird“. Sie verweigerten ihm vorübergehend den Dienst an der E-Gitarre – und das kurz vor einer gemeinsamen Tour der Rattles mit den Beatles durch England und Deutschland.

Mit „Wonderland“ und seinem Kumpan Frank Dostal landete er den Riesenhit „Moscow“, doch die Zeichen standen längst auf langhaarigem Hippietum und Schneidersitz. Mit AR & Machines ging er auf „Die grüne Reise“, der Pillenknick dieser Epoche trieb ihn weg vom harten Erlebnis-Rock. Sein Versuch, den ruinösen Star Club zu retten, blieb genauso erfolglos wie die Gründung einer IG Rock in den early seventies.

Doch dann entdeckte er weit vor der Zeit und dem kometenhaften Aufstieg des FC St. Pauli den Piraterie-Mythos und klassisches Seemannsgarn: „Dat Shanty Alb'm“. Auf schwankenden Planken steht ein Junge vom Hafenrand, der in der Bernhard-Nocht- und der Hafenstraße aufwuchs, eben sicherer. Der Käpt'n spricht: „Auf einem Schiff zu stehen und bis zum Horizont ist überall nur Wasser, das kann einem doch schon sehr viel über die eigene Existenz klar machen. Der Mensch, der Globus, unsere eigentliche Größe auf diesem Planeten.“

Und seine eigentliche Größe im Handlungsrahmen von imaginär schippernden Shanties brachte da zwangsläufig jede Menge langfristiger Sinnstiftung: „Ich habe da so eine Art Wiedereinstieg in mein musikalisches Schaffen über Shanties vollzogen“. Aloha- heja-he heißt diese Botschaft in Piraten-Pop-Kauderwelsch übersetzt und wird stets im vielstimmingen Chor bei seinen Konzerten mitgesungen.

Doch Reichels Ruhm geht kaum über die Weißwurstgrenze hinüber, er bleibt ein norddeutsches Phänomen. Aber wie will ein Bayer auch verstehen, daß sich so einer zum Geburtstag von den Schmuddelkindern aus der Volxküche in der rotlichtigen Großen Freiheit bekochen läßt?!

Reichel war eine zeitlang mit dem Literaten Jörg Fauser gemeinsam auf der Suche nach optimalem Text und Melodie. Heute hat er sich von allzu tiefschürfend-betroffenheitsduseliger Nachdenklichkeit wieder verabschiedet, ist dabei punktuell sogar druchaus grummelnd-politisch, ohne daraus eine peinliche Pose zu entwickeln. Als „Melancholie und Sturmflut“ erschien, da schimpfte Reichel über eine Zeit, in der „die Leute den Politikern, den Wirtschaftskapitänen und den Kirchenvertretern nichts mehr glauben“.

Ein Populist vom Hafenrand? Nönö, der Sänger denkt bloß mit dem Bauch und hat sein Herz für die einfachen Leute und die kleinen Milieus nicht verloren. Er ist mit sich und seiner Herkunft im Reinen: „Wenn man schon solange wie ich in diesem Geschäft ist, dann ist man entweder Zyniker geworden und spekuliert darauf, daß die Leute jeden Mist kaufen, oder man hat sich seine Ehrlichkeit bewahrt. Ich mein' das richtig ernst, was ich da mache, kann mir morgens ins Gesicht sehen und sagen: Jawohl, das biste“. Jürgen Stark

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