: Rechtfertigung für einen Sieg
■ Der Trend im Damen-Tennis geht zum Gähnen / Bundestrainer Hofsäß spricht von „Kindern als manipuliertes Werkzeug“, und Steffi Graf gewinnt, gewinnt, gewinnt
Melbourne (dpa/taz) – Die Sponsoren springen ab, das Fernsehen steigt aus, die Zuschauer bleiben weg. Damen-Tennis im Abwind. Der Flinders Park von Melbourne war – erstmals im bisherigen Turnierverlauf – nicht einmal zur Hälfte gefüllt, als Steffi Graf, Kimiko Date, Arantxa Sanchez-Vicario und Gabriela Sabatini am Donnerstag die Endspiel- Teilnehmerinnen ermittelten, dabei aber in zwei spielerisch enttäuschenden und langweiligen Matches lediglich den Trend untermauerten: gähnen. „Die Leute wollen unterhalten werden, und das werden sie bei den Damen selten“, meint Bundestrainer Klaus Hofsäß, „85 Prozent spielen dasselbe Einheitsstrickmuster.“
Ärgern muß sich auch Steffi Graf. Zum einen in der Pressekonferenz, in der nicht ihr Sieg über die nervöse Japanerin Kimiko Date bejubelt, sondern ihre zu große Dominanz bemäkelt wurde. „Was soll ich denn tun? Soll ich deshalb aufhören“, fauchte Steffi Graf den österreichischen Journalisten an, der zu behaupten wagte, „ihre Überlegenheit sei fürs Damen- Tennis auch noch schädlich. Zum anderen muß sie sich über ihre Gegnerinnen, die Deutschlands bestes und ehrgeizigstes Sensibelchen nicht so richtig fordern, ärgern: „Ich bin enttäuscht, daß ich meine Form noch gar nicht richtig zeigen konnte.“ Die dreimalige Australian-Open-Gewinnerin benötigte fünfeinhalb Stunden – 55 Minuten pro Match – für ihre sechs Etappen zum 22. Grand-Slam- Endspiel ihrer Karriere. Und hat dabei nur 24 Spiele verloren.
Monica Seles fällt wegen eines Attentats seit Monaten aus, Jennifer Capriati hat mit 17 Lenzen bereits ihren Rücktritt vom Tennis- Showbiz verkündet und will sich nach einer Anschuldigung wegen Ladendiebstahls erst einmal der College-Schulbank widmen denn dem Tennisschläger, und Martina Navratilova, die große alte Tennis- Dame, schont ihren 38 Jahre alten Körper immer öfter vor dem Duell gegen die Kraft der Jugend. Dem Damen-Tennis fehlt es an markanten Persönlichkeiten mit eigenwilligen Spielweisen. Und es fehlen neue Gesichter, die in die Phalanx der Großen einbrechen könnten. So kann eine Gabriela Sabatini, in Melbourne wegen einer Magenverstimmung gehandicapt, trotz einjährigem Formtiefs immer noch bequem unter den Top ten logieren. „Eine neue Topspielerin ist nicht in Sicht“, sagt Hofsäß, „die Jungen bekommen keine Zeit für die Technik-Ausbildung.“ Wie so oft lockt die Knete: Schnell rein in die Turniere und möglichst bald ein Stück vom Kuchen abschneiden. Hofsäß: „Die Talente sind doch schon als Kinder nur manipuliertes Werkzeug.“ Die Folge: technisch wie taktisch unausgereifte Spielerinnen, für die die unterschnittene Rückhand ebenso ein Fremdwort sei wie der gefühlvolle Stoppball. Hofsäß: „Auf den Ball draufhauen ist die Devise, denn das kann jede am schnellsten.“ Mit einer Ausnahme: Kimiko Date. Die 23jährige Japanerin ist, ohne daß man es richtig bemerkt hatte, auf Rang neun geklettert, hatte sich drei Monate lang bei keinem Wettkampf blicken lassen, um Kondition zu bolzen, und Technik zu feilen – prompt gewann sie das Turnier in Sydney und stieß jetzt in Melbourne bis ins Halbfinale vor, wo eben eine besser war – Steffi Graf.
Der Chef der deutschen Federation-Cup-Mannschaft ist für die Anhebung des Mindestalters bei Turnierstarts auf 16 Jahre. „Nur bei wirklichen Talenten, wie Steffi eines war, sollte eine Ausnahme gemacht werden.“ Da aber „die ganzen Management-Firmen mächtig drängen“, sieht Hofsäß erst dann Aussicht auf Erfolg, „wenn sich die Szene von selbst reguliert“. Und sie ist auf dem besten Weg dazu. Die Spielerinnen-Vereinigung WTA ist auf der Suche nach einem neuen Hauptsponsor, nachdem der bisherige (Kraft) im vergangenen Jahr ausgestiegen ist. Für Turnierveranstalter wie Aktive wird es schwerer, Dukatenesel zu finden. Zu spüren bekommt dies zuerst die Masse der Nullachtfünfzehn-Spielerinnen, die bislang im Strom des Tennis-Booms mitgeschwommen sind. „Wenn das vorbei ist“, so Hofsäß, „wird solide Arbeit gefragt sein.“ coh
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