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■ Plädoyer für einen neuen LastenausgleichDer Preis der Zukunft

Stellen wir uns etwas Unglaubliches vor: Eine CDU-Regierung erhebt von den Besitzenden eine Vermögensabgabe, um damit dem in Not geratenen Drittel der Gesellschaft zu helfen.

Noch unglaublicher: Das hat es tatsächlich gegeben! 1951 hat die Adenauer-Regierung den Lastenausgleich eingeführt, eine theoretisch 50prozentige Abgabe auf Geld- und Immobilienvermögen, die in 30 Jahresraten abzutragen war. Aus diesem Lastenausgleichsfonds bekamen die zehn Millionen Flüchtlinge und weitere Millionen von schwer Kriegsgeschädigten eine Sofort- und Starthilfe.

In der Praxis wurde diese Abgabe von insgesamt 80 Milliarden Mark durch das Wirtschaftswunder im nachhinein zur Petitesse – aus der Perspektive des Jahres 1951 aber, als sich auch die meisten Immobilienbesitzer nur sonntags Flaschenbier und Fleischwurst leisten konnten, war dies ein enormer Brocken – einer, der politisch nur sehr schwer durchzusetzen war.

Daß dies trotzdem möglich war, lag unter anderem daran, daß der Lastenausgleich eben nicht einfach ein Schröpfungsinstrument war, sondern zusammen mit dem Korea-Boom die gesamtgesellschaftliche Aufbaudynamik in Gang gesetzt hat, daher also auch im langfristigen Eigeninteresse derjenigen lag, die abzugeben hatten.

„Wer Kohl ablösen will, muß Waigels Schulden erben.“ Dies war die eine Erkenntnis der bündnisgrünen Strategiekonferenz am vorletzten Wochenende. Einig waren sich die meisten Regierungspraktiker auch in drei anderen zentralen Punkten. Erstens: Der Steuererhöhungsspielraum bei den laufenden Erträgen ist gering. Zweitens: Ökosteuern dürfen nicht in den Haushalt fließen, sondern müssen durch Verbilligung der Arbeitskosten tendenziell aufkommensneutral sein (andernfalls sind sie nicht durchsetzbar). Drittens: Eine Erhöhung der Staatsverschuldung ist nicht möglich – wobei auch die Erwartung abenteuerlich und illusorisch ist, die gegenwärtige gesamtstaatliche Nettoneuverschuldung von 230 Milliarden Mark pro Jahr (also eine Billion mehr Schulden in nur vier Jahren) ließe sich so weiterführen. Der gesellschaftlich brisante Kern dieser Finanzkrise ist, daß ein großer öffentlicher Handlungsbedarf auf eine extrem geschwächte öffentliche Handlungsfähigkeit trifft.

Bei Bündnis 90/Grüne stehen sich in dieser Situation zwei Positionen gegenüber. Die eine, die sich den mißverständlichen Namen „Grüne Austeritätspolitik“ gibt, fordert eine drastische Sparpolitik, wobei sie zwar auch für Maßnahmen gegen Armutsspirale und Massenarbeitslosigkeit ist, allerdings zumeist ohne eine unmißverständliche Aussage, was passieren soll, wenn dazu das Geld eben nicht reicht. Was wäre das für eine bündnisgrüne Regierungsbeteiligung, unter der, nicht aus bösem Willen, aber aus Finanznot, die Sozialhilfe um 20 Prozent gesenkt, das Bafög halbiert und die Bahn- AG an die Autoindustrie verkauft würde ...?

Demgegenüber tendiert die sogenannte Linke dazu, die dramatische Finanzkrise entweder nicht zur Kenntnis oder als Anlaß zu nehmen, endlich die große Umverteilung von oben nach unten durchzusetzen nach dem Motto: „Armes Drittel“ verbündet sich mit Mitte gegen die Reichen, um denen das Geld für eine linke Politik abzutrotzen.

Die Alternativen „Sparen um jeden Preis“ oder „Gesellschaftliches Bündnis gegen die Reichen“ übersehen beide, daß es in großen Teilen der bürgerlichen Mitte (auch übrigens im oberen Drittel) ein Interesse daran gibt, daß dieses Land nicht auseinanderfällt. Für eine überzeugende Zukunftsperspektive wären nicht wenige zu einem Teilverzicht bereit.

Nur ist die herrschende Politik nicht willens und in der Lage, diese Bereitschaft zu mobilisieren. Hier liegt die große Chance für die Bündnisgrünen. Doch wer diese Teilungsbereitschaft mobilisieren will, muß ein feines Gespür auch für die Grenzen von Solidarität entwickeln.

Die bündnisgrüne Grundsicherungsforderung von 1.500 Mark nach Abzug der Mietkosten auf die Hand für alle, auch die Arbeitsfähigen, und zwar ohne arbeitsmäßige Gegenleistung, ist ein ausgezeichnetes Mittel, aufkeimende Solidarität abzuwürgen.

Die Mobilisierung der Teilungsbereitschaft verlangt dagegen einen gesellschaftlichen Prozeß und Dialog, in dem von unterschiedlichen Seiten und Sichtweisen der Gesellschaft aus eine gemeinsame Gerechtigkeits-, zumindest aber Fairneßdefinition formuliert wird, also ein Programm gegen soziale Not und Dauerarbeitslosigkeit, das die Lage der Betroffenen durchgreifend verbessert, aber gleichzeitig nicht die Augen vor den Mißbräuchen verschließt und offensiv dagegen angeht. Ein Programm, das auch von den explizit nicht linken Teilen der Gesellschaft getragen wird, weil es auf die Stärkung der Selbsthilfe und der Bereitschaft zur Gegenleistung ausgerichtet ist – und nicht auf passive Versorgung, die selbst dann weniger Akzeptanz hätte, wenn sie billiger wäre. Diese Gerechtigkeits- und Fairneßdebatte muß sich dabei selbstverständlich und mit Wucht auch gegen die Praxis des Subventions- und Steuerschwindels bei Gutverdienenden richten.

Ein zweiter wichtiger Mobilisierungsfaktor ist die Aussicht auf eine überzeugende Gesamtlösung. Das Gefühl, ohne Perspektive in ein Faß ohne Boden zu fallen, demobilisiert. Für viele Menschen wäre ein einmaliger umfangreicher Schnitt, der durch ein umfassendes ökologisches Modernisierungsprogramm auch einen langfristigen Aufschwung auslöst, eher zu ertragen als eine unaufhörliche Serie von kleinen Einschnitten ohne Gegenleistung – die Gegenleistung nämlich in Form von Zukunftssicherheit.

Genau diese Gegenleistung steht im Mittelpunkt des Konzepts der Konstanzer Bündnisgrünen für einen neuen Lastenausgleich. Ausgehend von vorhandenen Privatvermögen in Höhe von mindestens 9,5 Billionen Mark, die in 40 „Wirtschaftswunderjahren“ zumeist steuerbegünstigt aufgehäuft wurden, wird eine einmalige etwa zehnprozentige Vermögensabgabe gefordert, die über zehn Jahre verteilt abzuzahlen ist – für den leider wahrscheinlichen Fall, daß alle übrigen Mittel zur Finanzierung des „Unbedingt-Notwendigen“ nicht mehr ausreichen. Bei dieser Abgabe sollen mit Ausnahme der Kleinstvermögen alle Vermögen in die soziale Mitverantwortung genommen werden. Doch darf niemand durch diesen Lastenausgleich in Existenznot geraten. Darum sollen hausbesitzende Kleinverdiener zu Lebzeiten nicht belastet werden – wohl aber anschließend das Erbe.

Nur bei einem solchen Lastenausgleich – zusätzlich und nicht anstatt von Ökosteuern und bündnisgrünen Einsparforderungen – gibt es noch den notwendigen Handlungsspielraum für positive Politik.

Abgeben nicht aus purem Altruismus, sondern eher als eine Art Versicherung für Zukunftsperspektiven – so müßte das bündnisgrüne Interventionsangebot an die Mitte der Gesellschaft aussehen. Hendrik Auhagen

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