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Roland Schlosser, Polizist mit Zivilcourage

■ Ein grundgesetzfürchtiger Polizist befreit einen angolanischen Abschiebehäftling aus einer Kellerzelle / Jetzt soll er 2.000 Mark Strafe wegen Gefangenenbefreiung zahlen

Berlin (taz) – Roland Schlosser ist sich keiner Schuld bewußt. Trotzdem muß er sich demnächst vor Gericht verantworten. Die Anklage lautet: Gefangenenbefreiung. In der Nacht zum 8. Juni 1993 schließt der ehemalige Leiter der Schutzpolizei in Landau (Pfalz) die Zellentür eines 22jährigen Angolaners auf, der sich in Abschiebehaft befindet, und läßt ihn frei. „Ich konnte das mit meinem Gewissen einfach nicht mehr in Einklang bringen. Die Unterbringung war menschenunwürdig“, sagt Schlosser. In der Zelle der Landauer Schutzpolizei gibt es keine Toilette und noch nicht einmal einen Wasseranschluß.

Roland Schlosser hat seine „Tat“ vorher genau überdacht und sieht in der kargen Möblierung der Kellerzelle einen Verstoß gegen das Grundgesetz: „In einer solchen Zelle kann man einfach nicht mehrere Tage verbringen. Ich halte das für einen Verstoß gegen das Gebot der Menschenwürde, das ja im Grundgesetz verankert ist und das von der staatlichen Gewalt – zu der ja auch die Polizei gehört – zu schützen ist.“ Gewöhnlich dient diese Zelle als Warteraum für eine Nacht bis zur Vorführung beim Richter. Doch in Rheinland-Pfalz ist die Umnutzung kein Einzelfall. Immer öfter gibt es für die Häftlinge in Abschiebehaft keinen Platz, und dann werden sie in diesen Provisorien einquartiert. Immerhin kann sich die Abschiebehaft bei eventuellen Schwierigkeiten im schlimmsten Fall bis zu einem Jahr hinziehen.

Das Amtsgericht in Landau sieht die Tat des Polizeihauptkommissars in einem anderen Licht und stellte Roland Schlosser wegen Gefangenenbefreiung einen Strafbefehl in Höhe von 2.000 Mark zu. Doch Schlosser zahlt nicht. „Für mich habe ich die ganze Sache immer so interpretiert: Ich habe lediglich die enge Gewahrsamsform des Gefangenen in eine gelockerte umgewandelt“, bemerkt Schlosser. „Der Angolaner hatte vor seiner Abschiebehaft einen festen Wohnsitz und einen festen Arbeitsplatz. Außerdem stand er nach der Befreiung zur Verfügung.“ Davon konnte sich auch die Abschiebehörde überzeugen. Der junge Mann kam am nächsten Tag wieder zur Arbeit und war unter seiner Adresse zu erreichen.

Mittlerweile wurde sein Haftbefehl aufgehoben. Roland Schlosser, der inzwischen als Sachbearbeiter im Einsatz bei der Landauer Polizeidirektion arbeitet – die Versetzung hat mit seiner „Tat“ nichts zu tun –, steht dagegen noch ein Gerichtsverfahren bevor. Im schlimmsten Fall droht ihm nach Paragraph 120 Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.

Der zuständige Staatsanwalt hat sich allerdings zu der menschlichen Tat noch nicht geäußert. In der Verhandlung wird Roland Schlosser wieder auf sein Gewissen verweisen und darauf, „daß das, was im Grundgesetz unserer fortschrittlichen Demokratie steht, endlich auch einmal in die Praxis umgesetzt wird“. Beate Bäumer

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