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Ein rosa Latexbeutel als Kultur-Ikone Von Ralf Sotscheck

Großbritannien, Heimat von Shakespeare und den Beatles, hat sich eine zwei Meter große, rosa Plastiktüte zum Kultursymbol der neunziger Jahre erkoren. Das Ding trägt eine Fliege, hat gelbe Punkte, zwei rollende Augen und einen Namen: Mister Blobby. Erschaffen wurde er von dem unsäglich albernen Noel Edmunds, der ihn in seiner Fernsehshow „Noel's House Party“ auftreten läßt. Woche für Woche stürmt die grinsende Latexröhre nun auf die Bühne, quäkt „Blobbyblobbyblobby“, stolpert und fällt auf seinen Plastikhintern. Das ist urkomisch — wenn man ein ähnliches Gemüt wie der kulturelle Einzeller hat. Blobby ist die Inkarnation des schlechten britischen Geschmacks — selbst Heino ist im Vergleich zu Blobby charismatisch.

Die elastische Kultur-Ikone läßt sich wunderbar in das Mantra seines politischen Pendants integrieren: Blobby lebt getreu nach den moralischen Grundwerten, die John Major zu seinen Prinzipien erhoben hat. Vor kurzem wurde bekannt, daß Mr. Blobby verheiratet ist — mit Mrs. Blobby. Die gemeinsamen Kinder der beiden heißen Blobbettes. Und die kondomartige Familie fällt nicht — wie die parasitären ledigen Mütter — dem Staat zur Last, sondern scheffelt Geld, daß man um Großbritannien Angst und Bange haben muß. Zu Weihnachten stand Blobbys Platte mit dem Titel „Mr. Blobby“ auf Platz eins der britischen Charts. Das Video, auf dem Blobby seine Wohnung tapeziert, Fitneßübungen in einer Turnhalle macht und im Supermarkt einkauft, ging in den ersten drei Wochen 200.000mal über den Ladentisch — so schnell hat sich noch kein Video in der britischen Geschichte verkauft. Zur Weihnachtsfeier im Seebad Morecambe in Lancashire, wo das Latexmännchen die Festbeleuchtung einschaltete, kamen 35.000 Zuschauer. Die Stadtväter waren davon so begeistert, daß sie einen langfristigen Werbevertrag mit dem Plastiksack abschlossen, um den Fremdenverkehr anzukurbeln.

Allein die Lizenzvergabe ist Millionen wert: Blobby prangt auf Handtüchern und Kissenbezügen, auf Schaumbädern und Anstecknadeln, er grinst von Tapeten und Unterhosen. Es gibt Blobbymobile und Blobbycopter, Schaumbäder und Seifen in Blobbyform. Eine Großbäckerei verkauft jede Woche 16.000 Blobbykuchen. Die BritInnen geben jede Woche mehr als eine Million Pfund für die Blobbymanie aus. Dem rosa Latexbeutel sind keineswegs nur Kinder verfallen. Neulich kam es zu einer Massenschlägerei unter Frauen, die Schlange standen, um sich von der Kulturamöbe küssen zu lassen. Und der Minister für Wales, John Redwood, gestand bei einer Rede vor Geschäftsleuten, daß er sich sehnlichst wünsche, so beliebt wie Mr. Blobby zu sein. Nun, zumindest scheint sich sein Verstand bereits dem seines Vorbildes rapide anzupassen. Noch schlimmer hat es den Menschen erwischt, der jede Woche in das überdimensionale Kondom schlüpft: Barry Killerby war in seinem vorblobbischen Leben ein geachteter Shakespeare-Schauspieler. Er sagt, er nehme seine neue Rolle ernster als jedes Shakespeare-Stück. Und Finanzminister Kenneth Clarke hat Mr. Blobby zu einer Party in die Downing Street eingeladen — die Verschmelzung von Kultur und Politik. Vielleicht stellen die Tories ja den rosa Plastiksack als Kandidat bei den nächsten Wahlen auf. Beliebter als Major ist er allemal.

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