: Gefahr droht nur beim Verschlucken
■ Ein Gramm des Ciba-Geigy-Giftes Aron Plus kann für ein Kind tödlich sein
Kiel/Berlin (AP/taz) – Die gesundheitliche Gefährdung durch die an der Nordseeküste angeschwemmten Giftbeutel werde nach Ansicht der Herstellerfirma Ciba Geigy zu dramatisch dargestellt. Zu einer kritischen Situation könne es nur dann kommen, wenn ein Kind den Beutel aufreiße und das Pestizid Aron Plus verschlucke, erklärte Manfred Lefèvre, der bei Ciba Geigy in Frankfurt für die Produktionssicherheit zuständig ist. Das Pulver sei aber so bitter und stinke zudem auch noch ekelerregend, daß es sofort wieder ausgespuckt werde. Bei Hautkontakt bestehe dagegen keine akute Gefahr, es könne jedoch zu einer allergischen Reaktion kommen, meinte der Ciba-Experte. Diese Einschätzung wird von dem Toxikologen Professor Hans Wellhöner von der Medizinischen Hochschule Hannover weitgehend geteilt. Demnach sei zwar ein Gramm des Giftes ausreichend, um ein Kind zu töten. Das Gift wirke aber so langsam, daß rechtzeitige Hilfe möglich sei. Die Vergiftungssymptome, die etwa eine halbe Stunde später bemerkbar werden, beschreibt der Hannoveraner Toxikologe mit Schweißausbrüchen, Übelkeit, übermäßiger Bildung von Speichel und Bronchialsekret, starker Verlangsamung des Herzschlages und Muskelkrämpfen. Eine sofortige ärztliche Behandlung mit dem Gegenmittel Atropin sei notwendig. Spätfolgen oder Auswirkungen auf eine Schwangerschaft seien nicht zu befürchten. Das Pestizid sei auch nicht krebserregend.
Das Präparat Apron Plus besteht laut Ciba Geigy zur Hälfte aus den drei Wirkstoffen Metalaxyl, Carboxin und Furathiocarbon. Dazu komme noch ein roter Farbstoff, und der Rest bestehe aus einer „unbedenklichen Trägersubstanz“. Bei der Biologischen Bundesanstalt (BBA) in Braunschweig, der Zulassungsstelle für Pestizide, wird nur der insektizide Wirkstoff Furathiocarbon als giftige Substanz eingestuft. Die beiden anderen Substanzen sind nach Angaben der BBA in keine der Giftklassen eingeordnet. Pestizide mit dem Wirkstoff Furathiocarbon sind in der Bundesrepublik nicht zugelassen. Jedoch sind laut BBA in mehreren Ländern der Europäischen Union entsprechende Mittel auf dem Markt.
Chemisch wird das Furathiocarbon in die Gruppe der Carbamate eingeordnet, die als Nervengifte gelten. Die Carbamate greifen in die Regulation der Übertragung von Nervenimpulsen ein. Sie blockieren ein für die Impulsübertragung lebensnotwendiges Enzym, die Acetylcholinesterase. Dies führt zu einer Dauererregung des Nervensystems und somit zum Tod. Mit dem Gegenmittel Atropin kann die Dauererregung wieder aufgehoben werden.
Eine Anreicherung des Giftes in der Nahrungskette ist nach Meinung der Experten nicht zu befürchten. Würde ein Beutel im Wasser beschädigt, verteile sich das Produkt sehr rasch. Durch den Verdünnungseffekt im Meer würden die toxischen Grenzwerte sehr schnell unterschritten. Eine akute Gefahr bestände für Meeresbewohner nur dann, wenn sie sich in unmittelbarer Nähe eines Giftbeutels befänden, der gerade aufgeplatzt ist. „Das Gift wirkt dann sehr schnell tödlich. Es muß daher nicht befürchtet werden, daß vergiftete Fische in den Handel kommen“, meint der Kieler Toxikologe Otmar Wassermann. Für ihn ist daher die eigentliche Katastrophe die tagtägliche Vergiftung der Meere und das Nichtstun der verantwortlichen Politiker. wlf
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