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Paradoxe Intervention Von Klaudia Brunst

Wenn man klug wäre, würde man jetzt an die Zukunft denken und ein kleines Häuschen am Stadtrand anmieten, meinte neulich meine Freundin, als sie beim Kartoffelschälen im Wohnzimmer auf den Immobilienteil unserer Zeitung stieß. „Was hast du gesagt? Du willst raus aufs Land?“ rief ich aus der Küche, wohin die Dunstabzugshabe die Kommunikation nur bruchstückhaft übermittelt hatte, „keine schlechte Idee. Das täte auch dem Hund mal ganz gut.“

Ich hatte natürlich nur an einen Wochenendspaziergang gedacht. Aber als am Samstag ein Dauerregen die geplante Landpartei verhinderte, beschloß meine Freundin zu meinem großen Erstaunen, die gewonnene Zeit schon mal sinnvoll zu nutzen und die ersten Kisten zu packen. Als meine Nachbarin auf einen Sprung vorbeikam, um uns zum Kino zu überreden, lehnte sie den Vorschlag rundheraus ab: „Urbane Vergnügungen dieser Art interessieren uns jetzt nicht mehr“, erklärte sie, „wir haben die Stadt nämlich satt und ziehen demnächst aufs Land.“ Und Kino gäbe es da dann ja auch nicht.

Meine Nachbarin macht mir wilde Zeichen des Entsetzens. „Dagegen mußt du doch etwas unternehmen“, raunte sie mir zu, während meine Freundin schon im Nebenraum die Bücherkisten mit „Schlafzimmer“, „Wohnstube“ und „Dachboden“ beschriftete. „Sonst sitzt du bald wirklich im Grünen und wirst vor Langeweile schwarz.“

Sie riet mir zu einer neuen Therapieform, die ihre Weight-Watchers-Gruppe neulich mit Erfolg angewandt hatte: „Paradoxe Intervention nennen die das“, erklärte sie mir, und daß der Trick darin bestünde, das Gegenüber in seiner zwanghaften Neigung zu bestätigen, damit es selbst nicht aus Gegenwehr versäume, seine Handlungsmotive kritisch zu überprüfen. „Funktioniert garantiert“, meinte sie und machte sich auf den Weg ins Kino. Mit dem Mut der Verzweiflung ging ich in die Küche und begann, die Schränke auszuräumen. „Auf dem Land brauchen wir das doch sicher nicht mehr, erklärte ich, und schmiß den Dosenöffner mit dem Hinweis auf den anzulegenden Nutzgarten in den Mülleimer. Meine Freundin stutzte zwar einen Moment, sah die Überlegung dann aber ein und entsorgte auch gleich den Kronkorkenzieher. Künftig sollte es bei uns nur noch Milch von glücklichen Kühen geben.

Bis zur „Lindenstraße“ am Sonntag abend war unser gesamter Hausrat zusammengepackt. Ich hegte mittlerweile gewisse Zweifel an den Segnungen der paradoxen Intervention, als meine Freundin unerwartet der Hunger überkam. Weil die Küche nicht mehr zu gebrauchen war, schlug sie vor, eine Kleinigkeit vom Inder um die Ecke zu holen. „Ich finde das nicht gut“, erklärte ich planmäßig streng, „das ginge auf dem Land ja auch nicht.“ Mit knurrendem Magen gab sie mir recht und setzte sich vor den Fernseher, bis der Hund seine Abendrunde verlangte. Erstaunlich bereitwillig sprang meine Freundin auf und rannte mit dem Tier die Treppen hinunter. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie zurückkam. In der einen Hand hatte sie eine McDonald's-Tüte, in der anderen einen angebissenen McRip. „Wenn man es recht bedenkt“, meinte sie mit vollem Mund, „ist es in der Stadt doch auch ganz schön.“ Sie hatte zwei Kinokarten besorgt. Für „City Lights“.

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