: Mehr Straßenbahn ändert nichts am Autowahn
■ Die Thesen des Verkehrs-Wissenschaftlers Klaus Haefner provozieren BSAG-Vorstand Karl-Heinz Witt
Wer auf den Öffentlichen Nahverkehr setzt, ändert nichts am Wachstum des privaten Autoverkehrs. Auf diese kurze Formel läßt sich die Kritik des Bremer Informatikers und Verkehrswissenschaftlers Prof. Klaus Haefner an der Verkehrspolitik der Ampel-Koalition und auch der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) bringen. Ausgerechnet die Grünen hatten diesen Querdenker mit CDU-Parteibuch am Dienstag abend im Kultursaal der Angestelltenkammer neben den neuen BSAG-Vorstand Karl-Heinz Witt aufs Podium gesetzt, um sie über die Zukunft des Öffentlichen Nahverkehrs streiten zu lassen.
Während Witt für die BSAG den Ausbau der Strecken forderte, mehr Komfort und Service versprach und zu der Frage der 150- Mio-Subventionierung nur vornehm schweigen konnte, präsentierte Haefner sein Konzept eines völligen Umdenkens in der Verkehrspolitik. Sein Ausgangspunkt sind nackte Zahlen, die die BSAG in dieser Form bisher nicht mitgeteilt hat: Mit den privaten, individuellen Verkehrsmitteln werden in Bremen im Jahr 3,5 Milliarden „Personenkilometer“ zurückgelegt, mit dem ÖPNV nur 500 Millionen. Die Wachstumsrate des Auto-Verkehrs ist dabei doppelt so hoch wie die Zuwächse beim öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV). Das bedeutet: die Schere zwischen Auto und Bus&Bahn öffnet sich immer weiter.
Alle Versuche, die Verkehrsteilnehmer zum Umsteigen auf den ÖPNV zu bewegen, haben den Trend nicht umkehren können. Aus gutem Grund, sagt Haefner: Busse und Bahnen sind ein starres Verkehrssystem, für die, die die Haltestelle nicht vor der Haustür haben, viel zu langsam und auch nicht ganz billig. 50 Prozent der „Personenkilometer“ werden am Wochenende gefahren, sind also Omabesuche oder andere „Spaßverkehre“, und für jemanden, der sein Auto vor der Türe stehen hat, ist es nicht nur schneller und bequemer, sondern auch weitaus billiger, PKW zu fahren.
Diese Analyse sieht Haefner durch eine andere Zahl bestätigt: Nach Untersuchungen in München und Düsseldorf haben nur fünf bis acht Prozent der Straßenbahn-Nutzer einen privaten PKW. Das bedeutet: Der ÖPNV ist das Verkehrsmittel einer Minderheit von Autolosen, hochsubventioniert von der Mehrheit der Autobesitzer.
Die Konsequenz dieser Analyse liegt auf der Hand: Wer den Autoverkehr willkürlich beschränken will, wird politisch spätestens bei der nächsten Wahl scheitern. Wer die Attraktivitätsverbesserung des ÖPNV ins Zentrum der Verkehrspolitik stellt, ändert wenig. Haefner will die Umweltbelastung und die Zahl der herumfahrenden Autos reduzieren, und das gehe nur durch ein adäquates Angebot für die Mobilitätsbedürfnisse, d.h. Reform der Individualverkehre.
„Öffentlicher Individualverkehr“ ist das neue Stichwort. Die großen Straßenbahnen sollen nur auf den großen, schnellen Strecken fahren, in die Wohnviertel soll es kleinere Zubringerdienste geben. Warum dürfen eigentlich Taxen nicht mehrere Personen aufnehmen? Parkgebühren sollten so steigen, daß es attraktiv wird, „Mitfahr“-Systeme zu organisieren .
Kleine, flexible Mehrpersonen-Fahrzeuge sollen deutlich privilegiert werden. Wenn das Ganze in einem Großversuch stattfindet, so hofft der Verkehrsexperte, könnte sich in einigen Jahren ein Umdenken in der Bevölkerung vollziehen wie vergleichsweise in der Einstellung zum Thema Müll.
Für viele der Teilnehmer waren diese Vorstellungen so radikal, daß Haefner immer wieder durch Zwischenbemerkungen unterbrochen wurde. Auch der BSAG-Vorstand Witt wehrte zunächst jeden Versuch ab, den ÖPNV aus dem Zentrum der Verkehrspolitik herauszurücken. Er glaube nicht an die Versuche in die Richtung „Öffentlicher Individualverkehr.“ Etwas versöhnlicher meinte er am Ende der streitbaren Veranstaltung, die Zielsetzung Haefners sei ihm „sympatisch“. Aber sich um die wachsende Menge der „Fahrzeugkilometer“ privater PKWs zu kümmern, sei „vom Gesellschaftzweck nicht die Aufgabe der BSAG“, und er habe Zweifel, ob das „ohne Anwendung von rigorosen Mitteln zu erreichen“ sei. K.W.
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