■ Plädoyer für militärische Hilfe für Bosnien-Herzegowina
: Moralisch geboten, politisch zweckmäßig

I. Allgemeines

1. Der Staat Bosnien-Herzegowina und seine vorwiegend muslimische Bevölkerung werden den gegen sie geführten Vernichtungskrieg durch serbische und nun auch teilweise kroatische Angreifer ohne militärische Hilfe von außen nicht überleben.

2. Das Ergebnis der bisherigen europäischen und UN-Verhandlungs- und Appeasementpolitik ist bekannt. Sie ist, ebenso wie die Politik der Westmächte 1938, von erschütternder Naivität, Gleichgültigkeit und nationalem Egoismus geprägt. [...] Das heißt, der Völkermord findet statt und eskaliert. [...]

3. Die Sprache der Waffen war und ist – man mag es bedauern, aber so ist menschliche und politische Realität – in dieser Situation die einzige, die der serbische Angreifer versteht und respektieren wird. Kroatien wäre wahrscheinlich noch durch politischen und wirtschaftlichen Druck (vor allem durch Deutschland) zu bewegen, seine Angriffe gegen Bosnien- Herzegowina einzustellen.

4. Militärische Hilfe zur Durchsetzung politischer und humanitärer Ziele ist daher

– moralisch und völkerrechtlich zwingend geboten,

– politisch in der derzeitigen Situation einzig zweckmäßig,

weil nur so die Vollendung einer Katastrophe verhindert werden kann, die ihrer exemplarischen Wirkung wegen weltpolitische Ausmaße annehmen könnte. [...]

II. Voraussetzungen:

1. Es müssen ein klarer politischer Wille und ein politisches Ziel bei den ausschlaggebenden Mächten, vor allem des UNO-Sicherheitsrates, vorhanden sein.

2. Sie müssen in einem militärisch umsetzbaren Auftrag münden.

3. Es müssen die notwendigen militärischen Mittel und Kräfte bereitgestellt werden. Dies kann durch die UNO, die Nato und die WEU geschehen. Sie sind im Prinzip dort vorhanden (letzter Beweis: unter anderem der Golfkrieg).

4. [...]

5. [...]

6. Das realistische Ziel militärischen Eingreifens besteht darin, die Parteien zur sofortigen und dauerhaften Einstellung aller Kriegs- und Gewalthandlungen zu zwingen und zu Verhandlungen – nun auf der Ebene eines militärischen und dadurch auch politischen Gleichgewichts – über die zukünftigen Grenzen und einen für alle Beteiligten gerechten und akzeptablen Modus vivendi auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens zu kommen. Dies ist auch gleichzeitig der beste Schutz – und damit humanitäre Hilfe – für die bedrohte Bevölkerung.

III. Militärische Optionen:

1. Die wichtigste Maßnahme ist nach wie vor die bedingungslose Aufhebung des Waffenembargos gegen den Verteidiger [...] So kann weitgehend ein militärisches Gleichgewicht hergestellt werden, Bosnien-Herzegowina kann sich erfolgreich schützen. Es werden weniger UN-Bodentruppen benötigt. [...] Die Waffenlieferungen müßten vor allem umfassen:

– Führungs- und Aufklärungssysteme,

– Artillerie und Mörser

– Panzerabwehrraketen

– gepanzerte Fahrzeuge aller Art

– Minenräumgerät

– Munition und Treibstoff, Feldlazarette

– eventuell Kampfhubschrauber

dazu, falls nötig, Ausbilder und Ersatzteile, das heißt Logistik inklusive medizinische Versorgung.

2. Durchsetzung humanitärer Hilfe notfalls mit Gewalt. Dazu reicht die derzeitige UNO Protection Force aus, wenn sie den Auftrag dazu bekommt; gegebenenfalls muß allerdings schnelle Verstärkung durch schwere Waffen und Luftunterstützung möglich sein.

3. Vernichtung der Masse der schweren Waffen (Artillerie, Panzer), Führungszentren und Nachschubbasen der serbischen Angreifer aus der Luft. Dies ist möglich. Die Stellungen sind aufgeklärt oder können es werden (jedenfalls in erheblichem Umfang). Der Westen hat praktisch die Lufthoheit. Das Risiko ist gering, der Angreifer verfügt nur über wenig, zum Teil veraltete Luftabwehr. Die Präzision heutiger Luftangriffsmittel ist so hoch, daß Collateralschäden im zivilen Umfeld sehr gering gehalten werden können [...]

Sehr geeignet sind Kampfhubschrauber, besonders US „Apache“, die in Europa, u.a. auch in Deutschland, stationiert sind. Im übrigen können alle Luftkriegsmittel in sehr kurzer Zeit (wenige Tage) überallhin verlegt werden.

4. Hermetische Abriegelung aller die serbischen Kämpfer in Bosnien-Herzegowina vor allem aus Serbien heraus versorgenden Straßen. Das sind weniger, als man glaubt (zirka sechs bis zehn Hauptverbindungslinien). Das schwierige Gelände ist hier ein Nachteil für den Angreifer, es kanalisiert auch seine Versorgungsbewegungen, er kann nicht einfach über das Gebirge gehen. Auch das kann weitgehend aus der Luft geschehen. Es können, bei längerer Dauer, allerdings auch Bodentruppen in Stärke einiger Divisionen notwendig sein. Der Angreifer würde dann jedoch selber schnell „ausgetrocknet“ werden.

5. Einsatz von Spezialtrupps vorwiegend aus der Luft, aber auch vom Boden aus, für kurze, gezielte Operationen, ohne daß Gelände längere Zeit gehalten werden muß. Zum Beispiel Zerstörung von Gefechtsständen, Versorgungsbasen, Stellungen von schweren Waffen, aber auch Zerstörung von Gefangenen- und Folterlagern und Befreiung der Insassen. Dazu sind Verbände in jeweils Kompanie- und Bataillonsstärke, insgesamt zwei bis drei Brigaden mit der dazu gehörenden Luftunterstützung einschließlich Transporthubschrauber nötig [...]

6. Die Verstärkung der bosnischen Verteidigungslinien, überall da, wo sie sich nicht selber halten können, durch UNO-Bodentruppen zusätzlich zu den o.a. Optionen wäre ein weiteres, aber aufwendigeres Mittel (bis zu 100.000 Soldaten). Es sollte aber, als letzte Möglichkeit, den Völkermord zu beenden, nicht ausgeschlossen werden. Auch hierfür können die Kräfte (Land, Luft, See) prinzipiell bereitgestellt werden. Um eine mit hoher Wahrscheinlichkeit kriegsbeendende Wirkung zu erzielen, wären für die Optionen bis 5. insgesamt wohl nicht mehr als ein Bruchteil der am Golf bereitgestellten Kräfte nötig.

7. Alle vorgeschlagenen Optionen beziehen sich zunächst auf das Territorium von Bosnien-Herzegowina. Andere sind denkbar und militärisch durchführbar, ob politisch zweckmäßig, muß durchdacht werden, z.B. Luftangriffe gezielter Art auf Serbien selbst, das trotz aller gegenteiligen Behauptungen de facto ein Land ist, das einen Eroberungskrieg führt. [...] Auch vorbeugender militärischer Schutz von Mazedonien und Kosovo gegen Krieg, Säuberung, Vertreibung und Teilung kann erforderlich werden.

IV. Abschließende Bemerkungen

1. [...]

2. [...] Es geht um begrenzte militärische Ziele zur allein sinnvollen Unterstützung friedenschaffender Politik, deren Folge Freiheit und Gerechtigkeit sein müssen. [...]

3. Der Krieg in Bosnien-Herzegowina wird sehr konventionell geführt. Es gibt durchaus erkennbare, wenn auch z.T., wie in jedem Krieg, zersplitterte und sich verändernde Frontverläufe. Ein typischer Partisanenkrieg findet weitgehend nicht statt. Die Gefahr eines solchen wäre auch bei militärischem Eingreifen durch die UNO (Nato etc.) gering. [...]

4. Militärischer Schutz von Bosnien-Herzegowina wird nicht ohne Verluste möglich sein. Das darf nicht verschleiert werden. Sie werden jedoch, wenn die Operationen richtig geplant und mit den notwendigen Mitteln durchgeführt werden, wahrscheinlich erheblich geringer sein, als oft behauptet wird, vor allem bei allen Luftoptionen. Auch wird die Gesamtoperation vermutlich kürzer dauern als befürchtet. Allein der psychologische Schock, daß der Westen endlich kraftvoll und entschlossen und seinen hohen moralischen und rechtlichen Ansprüchen, Verpflichtungen und Versprechungen gemäß handelt, wird den Angreifer wahrscheinlich sehr schnell zu nunmehr akzeptablen Bedingungen an den Verhandlungstisch zurückbringen und zu einer Einstellung der Kampfhandlungen führen. Er muß erkennen, daß er sein Zeil mit Gewalt nicht erreichen kann.

5. Die logistische Unterstützung aller Operationen in Bosnien-Herzegowina wäre erheblich leichter als im Golfkrieg. Die Nato mit all ihren Basen liegt vor der Haustür.

6. Im Fall militärischen Eingreifens würde die derzeitige Unprofor am besten geschützt, indem man sie verstärkt. [...] Die UN-Truppen könnten sich aber auch schon jetzt durchaus wirkungsvoll selbst schützen. Das bestätigen die Aussagen örtlicher militärischer Führer. Ihre Verwundbarkeit und Geiselfunktion wird aus offensichtlichen Gründen erheblich übertrieben und als Gegenargument benutzt. Sicher ist, daß bei der derzeitigen Auftragslage den UN-Truppen die Hände gebunden sind. [...]

7. Zur Kontrolle der Durchführung von gerechten Verhandlungsergebnissen und um den Frieden nach Erfolg eines militärischen Hilfseinsatzes zu sichern, werden UN-Truppen sicher für längere Zeit im Land bleiben müssen. Aber ihre Zahl kann begrenzt sein, wenn das Gleichgewicht von Serben, Kroaten und Bosniern gewährleistet ist. [...]

8. Je später wirkungsvolle militärische Maßnahmen ergriffen werden, um so höher wird, für alle Beteiligten, der Preis sein. [...] Die bis heute vom Westen und auch von Rußland verfolgte Politik war nicht nur völlig erfolglos, sie hat einen neuen Holocaust ermöglicht. Seine Beendigung durch entschlossene militärische Hilfe ist geboten, möglich und erfolgversprechend. Graf H. von Kielmansegg

Bundeswehrgeneral a.D. und bis zum Frühjahr 1993 Oberkommandierender der Heeresgruppe Nord der Nato