: Nur das Fernsehen spielt nicht mit
Die SG Wallau/Massenheim übernahm die Tabellenspitze der Gruppe B dank eines 30:23-Sieges über TEKA Santander – beste Aussichten für das Europacup-Finale der Landesmeister ■ Von Matthias Kittmann
Frankfurt am Main (taz) – Die Trommeln der 3.500 klangen wie in John Fords Western „Drums along the Mohawk“. Die Fans von Handballmeister Wallau/Massenheim gelten nicht gerade als Schöngeister, wenn es darum geht, den originellen Chorgesang zu pflegen. Und bei einem Fan-Song-Wettbewerb würden sie mit ihrem „Hipphipphurra“ kaum in die Champions-League vordringen. Aber das ist nicht nur nicht nötig, sondern macht vielleicht sogar ihre furchterregende Wirkung aus. Den Spaniern aus Santander schlotterten im dritten Spiel der europäischen Meisterrunde jedenfalls schon von Beginn an die Knie wie Kastagnetten in der Frankfurter Ballsporthalle.
Dabei war der iberische Klub quasi mit einer Weltauswahl angereist. Nicht weniger als alle vierzehn Spieler aus drei Nationen weisen Länderspielerfahrung auf. Andererseits ist der deutsche Meister der letzten beiden Jahre auch nicht gerade eine unerfahrene Bubentruppe, und mitunter ist Rechtsaußen Olaf Oster mit seinen 28 Jahren der Jüngste auf dem Feld. Zudem haben sich die „Elder sportsmen“ aus Hessen in den vergangenen Jahren eine ganz besondere Spezialität angeeignet: Je besser der Gegner ist, um so besser spielen sie selbst. Was allerdings in der Bundesliga schon mal dazu führt, daß sie gegen Teams unter ihrem Niveau das Mitspielen verweigern. Das wiederum finden die verwöhnten Anhänger überhaupt nicht lustig und bleiben öfters mal zu Hause.
Manager und „Mädchen für alles“ Bodo Ströhmann hofft deshalb, den 25prozentigen Zuschauerrückgang in der laufenden Saison mit angenommenen Einnahmen von etwa 250.000 Mark aus der neugeschaffenen Champions- League auffangen zu können. Da aber wollten die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten nicht mitspielen. Eine zehnminütige Zusammenfassung des Spitzenspiels gegen Santander flimmerte am Mittwoch erst nach 23 Uhr über den Bildschirm. „Da kann ich doch keine Werbeminute an den Mann bringen“, beschwert sich Ströhmann.
Das Rückspiel in Spanien soll in voller Länge übertragen werden, „aber da kassieren nur die Spanier“. Außerdem ist allen noch gut in Erinnerung, wie sich die ARD im letztjährigen Halbfinalspiel in Barcelona mitten in der entscheidenden Phase kurz vor Schluß einfach ausblendete. Eine Niederlage gegen den Gruppen-Favoriten hätte nicht nur die Finalteilnahme vorzeitig vermasselt, sondern auch noch den Europapokal zu einem Zuschußgeschäft gemacht – für die Verantwortlichen eine absurde Vorstellung.
Trotzdem war bei der Wallauer Mannschaft kaum Nervosität zu spüren. Von ihrem neuen, für Heiner Brand gekommenen Trainer Burkhard Keller genauestens über Spielertypen und -taktik informiert – „die Spanier suchen den schnellen Torerfolg“ –, gingen sie konzentriert zu Werke. Mit einer offensiven 5:1-Deckung nahmen sie den etwas schwerfälligen Zwei- Zentner-Männern im spanischen Angriff den Raum, gezielte Würfe abzugeben. Vor allem den angeblich härtesten Schützen der Welt, Mikhail Jakimovic, dessen Würfe eigentlich unter das Schußwaffengesetz fallen, beraubten sie im wahrsten Sinne des Wortes seiner Munition – nämlich des Balles.
Zudem wehrte Ex-DDR-Nationalkeeper Peter Hofman unglaubliche 18 Schüsse von TEKA Santander ab und steckte auch zwei Gesichtstreffer unbeeindruckt weg. Auf der anderen Seite war dagegen jeder Wurf ein Treffer. Der schwedische Weltmeister von 1990, Mats Olsson, bekam gerade dreimal seine Finger zwischen Ball und Tornetz und sein Stellvertreter gar nur einmal. Unter der cleveren Regie des Finnen Mikael Kaellman (3) und den Vollstreckerqualitäten von Nationalspieler Martin Schwalb (10/3) nahmen die quirligen, aber gegenüber ihren Kontrahenten beinahe schmächtig wirkenden Wallauer die spanische Deckung regelrecht auseinander. Nur einmal, beim 6:6, konnte Santander gleichziehen, danach ging es für den spanischen Meister über den Halbzeitstand von 12:16 bis hin zum 23:30-Finale-Furioso beständig bergab. Angesichts der Trefferquote von fast 80 Prozent auf Wallauer Seite, konstatierte Mats Olsson zerknirscht: „In der Mannschaft schießt ja jeder Tore.“ Stimmt – jeder Wallauer Feldspieler erzielte mindestens einen Treffer. Bei Tor Nummer 30 leistete sich Schwalb sogar das Vergnügen eines doppelten Doppelpasses mit Mike Fuhrig, um den Ball dann in aller Seelenruhe aus dem Stand über den Torwart zu lupfen.
Sogar der in den vergangenen Wochen etwas knarzige Bodo Ströhmann war wieder hemmungslos glücklich. Nachdem der „máximo lider“ von Wallau/Massenheim kurz vor Mitternacht seine Schäfchen eingesammelt hatte, blies er nicht etwa zum Zapfenstreich, sondern: „Auf geht's, Männer, zum Bankett“, und fünfzehn Siegertypen verschwanden im Schneetreiben.
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