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BosnierInnen demonstrierten alleine

■ 800 forderten ein Ende des Waffenembargos / Fücks rief zu weiterer Hilfsbereitschaft auf

„Die Cetniks und die Ustascha sind Handlanger von Europa – und als solche betreiben sie den Genozid am bosnischen Volk“ – deutliche Worte sprach der bosnische Lehrer Munib Milinkic am Samstag auf dem Marktplatz. Und er erntete großen und ernsten Beifall von den rund 800 überwiegend bosnischen DemonstrationsteilnehmerInnen; die meisten von ihnen Flüchtlinge, halbe Familien, junge und alte Menschen, viele von ihnen noch kaum der deutschen Sprache mächtig, oder MigrantInnen.

„Wir wollen nach Hause“ auf den Transparenten und die Hinweies auf die über 250.000 Toten in Bosnien begleiteten den Zug und gaben ihm nicht erst auf dem Marktplatz, beim symbolischen Gedenken an die Toten, den niederschlagenden Charakter eines Trauerzuges. Nur wenige Deutsche waren zu der Kundgebung erschienen, zu der die bosnische „Gemeinschaft Demokratische Aktion“ und die Grünen aufgerufen hatten, um der Forderungen nach dem Ende des Krieges und „ungeteilter Freiheit für Bosnien“ Nachdruck zu verleihen.

„Freiheit“ – das machten die RednerInnen vom Samstag deutlich – heißt für das bosnische Volk das unmittelbare Recht auf Selbstverteidigung. So waren denn auch die lautesten Forderungen der DemonstrantInnen: „Beendet das Waffenembargo für Bosnien.“ Und: „Der Flughafen in Tuzla muß geöffnet werden“ – nötigenfalls mit Waffengewalt. Denn in der Stadt Tuzla sind seit Monaten kaum noch Hilfslieferungen angekommen. Die Zufahrtswege sind von serbischem Militär blockiert.

Ähnliches berichtete Monika Hauser, die Mitbegründerin einer Zuflucht für traumatisierte und vergewaltigte Frauen in Senica, wo psychologische und ärztliche Hilfe unabhängig von ethnischen Vorurteilen geleistet wird. In der zentralbosnischen Stadt sei menschenwürdiges Leben fast unmöglich geworden, so die Gynäkologin. Die Stadt sei von Flüchtlingen überlaufen. Durch den Krieg und die Isolation von der Außenwelt würden die EinwohnerInnen psychisch und physisch krank. „Wenn das Embargo nicht aufgehoben wird, geht das Kalkül der Serben auf,“ warnte sie eindringlich. Und auch sie wies auf den Zynismus europäischer Politik hin: „Während in Genf Tribunale gegen Kriegsverbrecher vorbereitet werden, sitzen die größten Verbrecher doch nur drei Räume weiter und führen endlose Verhandlungen“.

Position zur europäischen Politik bezog auch Ralf Fücks als Bremer Bürgermeister: „Wir werden in wenigen Jahren nicht mehr verstehen können, warum wir den BosnierInnen das Recht auf Selbstverteidigung verweigert haben, das ihnen nach § 51 der UNO-Menschenrechtskonvention zusteht. Wir werdem nicht verstehen, daß wir das Embargo aufrecht erhalten haben, daß wir den Beschuß von Krankenhäusern durch die serbische Artillerie geduldet haben und daß wir Lager, von denen wir wußten, daß dort Frauen vergewaltigt werden, nicht befreit haben.“

Obwohl niemand wisse, wieviel von den Hilfslieferungen für Bosnien dort wirklich ankommen, rief Fücks die BremerInnen zur Hilfsbereitschaft auf: „Wir dürfen darin nicht nachlassen.“ Im letzten Jahr wurde alleine in Bremen über eine Million Mark gespendet; 1500 bosnische Flüchtlinge leben in Bremen und Bremerhaven.

Auch Faruk Kolonic, der Sprecher der Islamischen Vereinigung Bremens, verurteilte die europäische Haltung: „Schweigen macht Europa schuldig am Völkermord.“

ede

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