: Wir waren wählerisch bei den Wahlen
■ betr.: „Grüne in NRW auf neuem Kurs“, taz vom 31.01.94
Am Wochenende haben wir Grüne in NRW anscheinend die Öffentlichkeit überrascht. Folge: unter den bestallten Auguren kursieren nun die Gerüchte. Beispielsweise, daß die moderate Aachener Liste das Resultat einer umsichtigen Realo-Regie gewesen ist. Oder, daß die Parteilinke eine strukturellen Niederlage erlitten hat.
Nichts von alldem ist wahr. Richtig ist: Auch auf der Landesdelegiertenkonferenz hat sich nun ein Trend bahngebrochen, der vielen NRW-Kreisverbänden schon längere Zeit wirkte. Es geht um den Abschied vom Rundfunkrat- Proporzen, von in Ritualen erstarrten Ticketmodellen einer Dinosaurier-Fraktion, die grüne Parteievents der Neunziger immer noch mit VDS-Sausen der Siebziger verwechselt. Nix Regie. Mancher Feldherrenhügel, der im Vorfeld der LDK aufgeschaufelt wurde, war in Wirklichkeit ein Misthaufen. Und auf dem steht ja bekanntlich nur krähendes Federvieh, das Lärm macht, aber keine Eier legt.
Sicher hat das linke Forum mehr personale Niederlagen erlitten als die Konkurrenz von der Realo-Kirche. Das liegt aber nur daran, daß die NRWs Realos (durch die kluge Politik ihrer Führungsriege) eben weniger Personal haben, das Niederlagen erleiden könnte. Sie sind ein aussterbender Stamm: Zehn Häuptlinge, zwei Medizinmänner und Null Indianer. Unübertroffen sind die Realo- Schamanen allerdings in der Fähigkeit, die Ursache einer schlechten Wetterlage für die Konkurrenz ausschließlich aus ihrer vermeintlichen Begabung als Regenmacher herzuleiten.
Und so steht auch zu fürchten, daß die Wahl des im Realo-Lagers zur Persona non grata erklärten Manfred Suchs die Realos nicht auf das eigentliche und oben beschriebene Ergebnis der LDK bringt. Hat sich was mit struktureller Niederlage der Linken. Das traurige Ende der politischen Karriere Roland Appels, dessen jungdemokratischer Politikstil in seiner klassischen Mischung aus Genscher und Thälmann uns wirklich etwas überfordert hat, sollte nicht überinterpretiert werden. Der erste Realoprovinzfürst, der unbekehrt das Licht der Öffentlichkeit betritt, wird sich die gleich herbe Abfuhr einhandeln. Also Jungs, lernt schwimmen. Es droht sonst das Schicksal der Steine.
So war das in Aachen: Wir waren wählerisch bei den Wahlen und obwohl sich die Supernasen energisch auf den Kopf gestellt haben, haben wir auch die bekommen, die wir haben wollten. Sascha Philippe Rauschenberg,
Düsseldorf
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