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Streit um Katalanisch

Empörung in Spanien über Sprachgesetz in Katalonien / Angst vor regionalem Sonderweg  ■ Aus Barcelona Antje Bauer

Altstadt von Barcelona. Das Labyrinth von engen, verwinkelten Gassen, in die kaum Sonnenlicht dringt, in denen sich kleine Läden neben schmale, tiefe Kneipen drücken, öffnet sich unvermittelt auf einen großen, leeren Platz. Unauffällig teilt die Ferranstraße die Plaza San Jaume in zwei halbe Pflastersteinwüsten, an deren Enden sich je ein großbürgerlicher, protziger, ockerfarbener Palast breitmacht: Hier residiert die politische Macht von Katalonien. Auf der einen Seite liegt behäbig das Rathaus von Barcelona, seit Jahren in Händen der Sozialisten unter dem Bürgermeister Pascual Maragall. Nach neuesten Meinungsumfragen könnte es bei den nächsten Wahlen in die Hände der Rivalen übergehen, die sich seit langem gegenüber, auf der anderen Seite des Platzes, eingerichtet haben: Im Palast der Generalitat, der Landesregierung, regiert die konservativ-nationalistische Parteienkoalition Convergència i Unió (CiU) unter ihrem unbestrittenen Patron Jordi Pujol.

Der Zugang zur katalanischen Festung ist nicht eben einfach. Der Wachoffizier am Eingang zur Generalitat will sich nur mit einem regelrechten Paß zufriedengeben, Europa hin oder her. Doch der Aufwand lohnt sich: Die Besucherin schreitet an einem halben Dutzend spalierstehender, säbelpräsentierender Palastwachen vorbei, hinein in einen großzügig angelegten Prachtbau, dessen dicker Stein und schwere Teppiche an den Wänden auf die Unvergänglichkeit des Katalanischen hinzuweisen scheinen.

Jordi Pujol, der Hausherr, ist ein Meister in der Kunst des politischen Spagats. Als 1992 die Olympiade in Barcelona stattfand, wußte Pujol den Druck der linksnationalistischen Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) („Republikanische Linke Kataloniens“) auf die eigenen Mühlen zu leiten: Während der Spiele zeigte sich Barcelona in ein Meer von gelb-roten Senyeras, katalanischen Fähnchen, getaucht, an den Zufahrtsstraßen in die Stadt grüßten Schilder auf Katalanisch: „Benvinguts em Catalunya!“, zu Beginn der Feierlichkeiten wurde als erstes die katalanische und nicht die spanische Hymne gespielt, und die Zeitungen zeigten einen Pujol, der sich unter ausländischen Staatsmännern wie unter seinesgleichen bewegte. Daß man sich in Restspanien darüber aufregte, daß die Olympiade nicht in Spanien, sondern in einem Staat namens Katalonien stattzufinden schien, und die staatlichen Subventionen für den neuen Sporthafen und die Autobahnzubringer aufzählte, machte den Triumph zur Schadenfreude.

Als nach dem Ende des spanischen Jubeljahrs die Wirtschaftskrise einkehrte und auch in Katalonien Opfer forderte, legte Pujol seine Fähigkeiten als Realpolitiker an den Tag: Die bei den Parlamentswahlen im vergangenen Juni hart gebeutelten Sozialisten erhielten die zum Regieren unverzichtbare Unterstützung seiner Gruppierung nur durch konkrete Zugeständnisse. Im vergangenen September wurde der katalanischen Landesregierung das Recht zugestanden, die im Lande erwirtschaftete Mehrwertsteuer – wenn auch durch Übergangsregelungen abgefedert – selber ausgeben zu dürfen, anstatt sie wie bislang komplett an Madrid abzuliefern.

Daß Katalonien neben dem Baskenland die reichste Region Spaniens ist und diese Maßnahme längerfristig zu Einkommensverlusten der wirtschaftlich schwächeren Regionen führen dürfte, stieß dem sozialistischen Ministerpräsidenten der armen Region Extremadura, Rodriguez Ibarra, bitter auf. Seine Kritik, es handele sich hierbei um die Aufkündigung der Solidarität mit ärmeren Regionen, wird, wie auch im Baskenland, in Katalonien durch Verweis auf die im Süden angeblich niedrigere Arbeitsmoral sowie die mafiosen Strukturen der dort regierenden Sozialisten beantwortet.

Im November folgte Pujols nächster Streich im Namen des Katalanismus: Das Gesetz zur „Sprachnormalisierung“, das seine Regierung vorlegte, macht das Katalanische zur Landessprache, zuungunsten des Spanischen, das bislang gleich- oder höherwertig behandelt wurde. In Schulen und Universitäten, bei Gerichten und Behörden soll in Zukunft grundsätzlich katalanisch gesprochen werden, und selbst in Geschäften soll die Bedienung gezwungen werden, die Landessprache zu sprechen. Rundfunk und Fernsehen sollen einen Mindestanteil ihres Programms auf katalanisch ausstrahlen – Zuwiderhandlung gegen dieses Gesetz wird bestraft.

Vorrang für die Landesprache

Franco hatte die Katalanen für ihre Unterstützung der Republik hart bestraft: Zahlreiche Katalanen wurden verhaftet, andere gingen ins Exil, der Gebrauch des Katalanischen wurde verboten. Breitere autonome Rechte und der Gebrauch der eigenen Sprache waren somit immer ein Symbol für Demokratie in Katalonien – eine Demokratie, die nach Ansicht der meisten Katalanen nicht weit genug ausgebaut ist. Der Streit mit der Zentralregierung um autonome Rechte ist insofern seit dem Tod Francos ein zentraler Punkt katalanischer (und baskischer) Politik und einer der Hauptkonflikte im heutigen Spanien.

Hatten die finanziellen Vorteile, die Pujol für sein Völkchen herausschlug, in Restspanien bereits zu einer Heraufbeschwörung des Gespenstes des katalanischen Sonderwegs geführt, so geriet die „Sprachnormalisierung“ zu einem regelrechten Sprachenstreit. Die Sozialistische Partei PSOE, wiewohl generell nicht eben für Sympathien mit regionalistischen Forderungen bekannt, machte zwar gute Miene zum bösen Spiel, um es sich mit dem Mehrheitsbeschaffer CiU nicht zu verderben. In der Presse freilich durften sich die rechten Verteidiger des Nationalstaats ausgiebig zu Wort melden, und der ehemalige peruanische Präsidentschaftsbewerber Mario Vargas Llosa, der vor kurzem die spanische Staatsangehörigkeit angenommen hat, warnte in der spanischsprachigen katalanischen Tageszeitung La Vanguardia vor einer Verarmung der Kultur im Namen einer sich abschirmenden nationalistischen Ideologie.

Die Katalanen selbst nehmen den Aufruhr mit Verwunderung zur Kenntnis. „Jeder hat das Recht, das Seine zu verteidigen. Das heißt ja nicht, daß man das andere mißachten muß. Wenn man ein Bein hat, schneidet man das andere ja auch nicht ab“, versichert mit hartem katalanischem Akzent die etwa 50jährige Eigentümerin der „Casa de las Bandejas“, eines kleinen, vollgestopften Ladens im Zentrum von Barcelona, der sich dem Verkauf von Tabletts widmet. Ihren Namen sagt sie allerdings lieber nicht. Auch Manuel Vázquez Montalbán, linker spanischschreibender Schriftsteller, der in Barcelona lebt, findet die neuen Richtlinien in erster Linie positiv. „Das Problem ist, daß das Katalanische als Sprache sehr lange Zeit unterdrückt wurde. Es ist eine kleine Sprache, die vielleicht von sechs Millionen Leuten gesprochen wird – Valencia und Mallorca eingeschlossen – gegenüber einer Sprache, die theoretisch 300 Millionen sprechen, in einer Welt, in der die vorherrschende Sprache Englisch ist... Das heißt, es gibt einen großen Kastrationskomplex dieser Sprache. Eine Angst, zu verschwinden. Ich werde erst ethisch beruhigt sein, wenn das Katalanische vorherrscht, denn bislang hat man den Eindruck, Teil eines linguistischen Besatzungsheers zu sein, einer linguistischen Fremdenlegion, die dein Land besetzt, das eine andere Sprache spricht.“

Ein Problem für die Zuwanderer

Auch in Katalonien teilen freilich nicht alle die Freude über die Katalanisierung des Landes. „Ich bin geborener Spanier“, dröhnt der Inhaber der „Catedral de la Bisutería“, eines Modeschmuckladens in Barcelona, in dem jedes Pappschild mit Sonderangeboten in Spanisch gehalten ist. „Mir passen weder der Katalanismus noch die Basken. Wenn jemand einen Stein hier reinwirft, dann werfe ich zurück.“ Steine sollen schon öfter in den Vitrinen von Geschäften gelandet sein, die ihre Werbung nicht zumindest auch auf katalanisch führen. Auch Vereinigungen von Eltern, die aus anderen Landesteilen zugewandert sind – seit den fünfziger Jahren war Katalonien Zuwanderungsland aus dem armen Süden –, klagen über die „Zwangskatalanisierung“ ihrer Sprößlinge.

Joan Vallvé läßt das kalt. „Die Leute, die in den 50er und 60er Jahren hierhergezogen sind, konnten die Realität des Landes wegen der Verbote Francos nicht kennenlernen“, sagt er bestimmt. „Ihre Kinder bemühen sich nun, die Kultur des Landes kennenzulernen, das sie aufgenommen hat.“ Vallvé ist der Verantwortliche für Auswärtige Angelegenheiten der Generalitat und rechte Hand von Ministerpräsident Pujol. Während des Gesprächs klingelt das Telefon, der Beamte flötet in perfektem Französisch hinein und flicht in das Interview deutsche Redewendungen. „Katalonien war immer eine offene Region. Ist es auch jetzt noch. Wenn aber Weltöffnung World-Lifestyle bedeutet, dann können wir darauf verzichten“, beteuert Vallvé.

Sein Amt wurde im vergangenen Sommer geschaffen – sehr zum Mißbehagen der sozialistischen Regierung in Madrid, die darin eine Art katalanisches Außenministerium sah und für die hinter der regen Reisetätigkeit von Pujol ohnehin zuviel katalanische Eigenbrötelei steht. Doch Vallvé ist ein diplomatischer Mensch. „Unsere Beziehungen zum Außenministerium sind hervorragend“, versichert er, „sie haben ihre Kompetenzen, und wir haben andere.“

Was freilich nicht heißt, daß eine Umverteilung dieser Kompetenzen nicht wünschenswert wäre und Menschen wie er selbst nicht tatkräftig versuchten, im Rahmen der EU die Strukturen dafür zu schaffen. Sein Vorgesetzter Pujol ist Vorsitzender der Versammlung der Europäischen Regionen, und regionalistische Vorstöße wie die der Bayern werden von Vallvé aufmerksam verfolgt. „Ich würde nicht sagen, daß die nationalen Außenministerien verschwinden, aber ihre Rolle ist eine andere als früher“, meint er. „Wenn die Entscheidungen durch EG-Instanzen gefällt und von den Regionen umgesetzt werden, wozu braucht man dann noch ein Ministerium? Die EU muß sich verändern, und selbst Herr Streibl hat ja kürzlich die Befürchtung geäußert, daß Bayern in der heutigen EU untergeht.“

Nördlich der Altstadt von Barcelona liegt das Geschäftszentrum der Stadt: In schimmernden Auslagen Pelze, Designerkleidung, Luxusautos, auf breiten Avenuen rauscht der Verkehr. In einer ruhigen Nebenstraße amtiert am Ende von holzgetäfelten, teppichbelegten Korridoren Francisco Guarner, Präsident der Banco de Europa und des Clubs Financiero de Barcelona, eines Debattierclubs von Hochfinanz und Kapital. Als nach den letzten Wahlen klar wurde, daß die erhoffte Wende zu einer rechten Regierung nicht eingetreten war, hatte der Club Financiero öffentlich seinem Wunsch Ausdruck verliehen, im Namen der Stabilität möge Jordi Pujol eine Koalition mit den Sozialisten eingehen. „Das Wirtschaftswachstum in Katalonien liegt zur Zeit unter dem spanischen, und es wird sich erst später erholen als im Rest Spaniens. Aber das heißt nicht, daß der Ausweg aus der Krise außerhalb des spanischen Rahmens verlaufen sollte – der Ausweg verläuft im spanischen und europäischen Kontext“, kommentiert Francisco Guarner. Der politische Spagat der regierenden Convergència i Unió zwischen Nationalismus und Mitregieren in Madrid erscheint den Geschäftsleuten offensichtlich positiv: „Katalonien ist absolut in Spanien integriert. Das Wachstum der nationalistischen Bewegung ist begrenzt und muß in ihrem eigenen Bezugsrahmen gesehen werden“, beruhigt der junge Banker.

Es wird früh dunkel in diesen Tagen in Barcelona. Die Jugendstil-Straßenlaternen tauchen die Altstadt in ein rötliches Licht, in den Bars werden die ersten Weinchen getrunken, mit Plastiktüten schwer bepackte Frauen stapfen durch die Fußgängerzone. Der Schlußverkauf wird in den Läden durch zweisprachige Schilder Rebaixes – Rebajas angekündigt, auf den Fensterscheiben der kleinen Kneipen steht das Speisenangebot geschrieben: fein demokratisch auf Katalanisch auf der einen und auf Spanisch auf der anderen Seite. „Um café com llet“, bestellt ein Kunde in der Bar del Pi. „Un café con leche“, schreit die Kellnerin über den Tresen. Daß dies ein Sprachenstreit sein soll, haben wohl eher die Spanier erfunden.

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