: Qual der Quote: Die Kandidaten-Kür ist eröffnet
■ Beim Bündnis 90 /Grüne müssen drei Bundestagskandidaten einem doppelten Proporz entsprechen / Westfrau an der Spitze soll Poppes Wiedereinzug garantieren
Am 23. und 24. April wird die Landesdelegiertenkonferenz (LDK) des Bündnis 90/Grüne die Kandidaten und Kandidatinnen für den nächsten Bundestag nominieren. Nach Auskunft des Landesgeschäftsführers Norbert Schellenberg absolvieren zur Zeit elf Aspiranten das „informelle Schaulaufen“ in den Gliederungen und Zirkeln der Partei. Doch die Kür gerät zum Doppelaxel aus dem Stand: Denn wer letztendlich ins Parlament einzieht, entscheidet sich weniger am politischen Profil als vielmehr am parteiinternen Proporz.
Mit drei sicheren Plätzen rechnet Schellenberg, vorausgesetzt, das Bündnis 90/Grüne erreicht ein Ergebnis von acht bis neun Prozent. Sollten FDP, PDS und „Republikaner“ in der Stadt unter fünf Prozent rutschen, würden sich die Aussichten noch verbessern.
Kopfzerbrechen bereitet der Partei die zweifache Quotierung, der die Kandidatenliste entsprechen muß. Außer einem ausgewogenen Verhältnis der Geschlechter verlangt die Satzung auch einen klaren Ost-West-Proporz. Daß letzterem nicht das Wohnortprinzip, sondern die frühere Mitgliedschaft im Bündnis 90 zugrunde liegt, schränkt die Wahlmöglichkeiten zusätzlich ein. Seit Wochen rätseln die Parteistrategen, wie diesen selbstauferlegten Vorgaben entsprochen und dem jeweils gewünschten Kandidaten zugleich eine Chance eröffnet werden kann. Dem Geschäftsführenden Ausschuß obliegt es, der LDK einen Vorschlag zum Wahlverfahren zu unterbreiten, doch entzweien sich bereits an dieser Frage die Gemüter.
Da einer Frau der erste Listenplatz vorbehalten ist, könnten sich doch, referiert Schellenberg das Wahlmodell Nummer eins, zunächst alle weiblichen und dann alle männlichen Kandidaten dem Urnengang stellen. Auf dem dritten Platz würde dann, sofern erforderlich, das Ost-West-Verhältnis ausgeglichen werden. Dieser Variante, da ist sich Schellenbergs Ostberliner Partner in der quotierten Landesgeschäftsführung, Michael Wartenberg, sicher, „werden wir uns nicht anschließen“.
Die Bündnis-90-Strategen plagt weniger die Furcht, daß das Wahlergebnis nur für zwei Kandidaten gut ist, sie mithin gegebenenfalls im Bundestag nicht präsent wären. Sie fürchten vielmehr um die Chancen ihres Favoriten Gerd Poppe. Der Vorkämpfer der DDR-Bürgerrechtsbewegung will erneut in den Bundestag einziehen, ist aber wegen seiner interventionistischen Position im Bosnien-Konflikt bei den Grünen umstritten. Sie verübeln ihm vor allem, daß er seine Meinung noch öffentlich vertritt, obgleich eine neunzigprozentige Parteitagsmehrheit im Herbst letzten Jahres ein gegenteiliges Votum gefällt hat. Für das Bündnis 90 stellen sich noch Ralf-Peter Hasselbarth, Siegfried Zöels und Reinhard Weißhuhn der Wahl, doch wird wohl keiner von ihnen gegen Poppe antreten.
Sein Einzug in den Bundestag wäre folglich nur dann gefährdet, wenn auf den Listenplatz eins eine Ost-Frau gewählt würde oder er nach dem von Schellenberg vorgestellten Wahlmodus gegen die West-Männer antreten müßte. Von diesen haben, so Schellenberg, der ehemalige Parteivorständler Jochen Esser und der ehemalige Bundestagskandidat Hans- Christian Ströbele ihr Interesse bekundet, beides angesehene Köpfe der Grünen, gegen die Poppe einen schweren Stand haben würde.
Deshalb sieht das von Wartenberg favorisierte Wahlverfahren ein platzweises Vorgehen vor: Steht die politische Herkunft der Nummer eins fest, kommen je nachdem nur Bündnis-90- oder Grünen-Männer zum Zuge. Da mit Juliane Roloff eine Kandidatin für das Bündnis 90 in den Ring steigt, die bislang kaum bekannt und, da sie in Wiesbaden arbeitet, auch kaum präsent ist, wird der erste Platz voraussichtlich an eine der beiden Kandidatinnen der Grünen gehen.
Entweder Andrea Fischer, die im Herbst letzten Jahres in den Geschäftsführenden Ausschuß gewählt wurde, oder Franziska Eichstätt-Bohlig, die früher Baustadträtin in Kreuzberg war, wird voraussichtlich die Landesliste anführen. Auf Platz drei könnten dann auch die Frauen eine unverhoffte Chance erhalten, die durch den Quotierungsrost fallen. Die Nixdorf-Betriebsrätin Gabriele Schaffran-Deutschmann hat ihr Interesse bekundet, obgleich sie kein Parteimitglied ist, wie auch Christina Schenk. Die Ostberlinerin sitzt zwar bereits im Bundestag, fällt aber als Mitglied des Unabhängigen Frauenverbandes nicht unter die Bündnis-90-Quote. Dieter Rulff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen