: Wer sich nicht wehrt, landet am Herd
■ Ost-Frauen kämpfen um soziale Sicherheit / Keine Rede vom Geschlechterkampf
„Die Westfrauen in den Streikkomitees vermitteln oft den Eindruck, als ob sie Männer hassen. Damit haben viele unserer Frauen Probleme.“ Edeltraut Rogeé, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV) in Sachsen-Anhalt und Mitorganisatorin des Frauenstreiks, ringt um passende Worte. „Frauen im Osten ziehen nicht gegen Männer auf die Straße, sie wollen ihr Recht auf Arbeitsplätze, ausreichende Sozialhilfe und gerechte Bezahlung.“ Der erste vereinigte Ausstand von Frauen aus Ost und West macht bereits in der Vorbereitung deutlich, wo sich die ideologischen Welten trennen.
Beinahe 90prozentige Erwerbstätigkeit und eine Gesetzgebung, die Gleichheit der Geschlechter im Berufs- und Gesellschaftsleben garantierte, war jahrzehntelang DDR-Realität. Nach den Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind wenigsten 1,8 Millionen Frauenarbeitsplätze im Osten seit der Wende verschwunden. Das sind fast 45 Prozent der ursprünglichen Arbeitsstellen für Frauen. Dieses Jahr werden zwei Drittel der Arbeitslosen in den neuen Bundesländern weiblich sein. Zahlreiche von ihnen, besonders Alleinerziehende, sind auf Sozialhilfe angewiesen. Allein in Brandenburg hat jede zweite Alleinerzieherin keine Arbeit mehr.
An grundsätzlichen Diskussionen um das Geschlechterverhältnis und das Patriarchat besteht kaum Bedarf. Statt dessen immer wieder der gleiche Tenor: Arbeit und nochmals Arbeit. „In den neuen Bundesländern gibt es so gut wie keine Hausfrauentradition – es gibt nur arbeitslose Frauen“, so Ellen Woll vom Frauenstreikkomitee in Schwerin. Wo selbsternannte Arbeitsmarktexperten „die Frauenerwerbstätigkeit auf ihr Normalmaß zurückfahren“ wollen, drängt sich nur eine Schlußfolgerung auf: Wer nicht an den Herd verbannt werden will, muß sich auf die Beine stellen.
Mit der Arbeitslosigkeit kam auch vielen Frauen im Osten das Selbstbewußtsein abhanden. „Die Resignation ist groß. Am meisten Angst macht mir der Rückzug der Frauen ins Private“, charakterisiert Edeltraud Rogeé die Stimmungslage in ihrer unmittelbaren Umgebung. Und bei den Frauen, die noch Arbeit haben, ist die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, sehr groß. Für harte Gesten mit Reminiszenzen an den Arbeiterkampf finden sich auch hier keine Anhängerinnen. Der Frauenstreiktag wurde teils sogar abmildernd in Frauenprotesttag oder Frauenstreittag umbenannt. So starten in Magdeburg die Hauptkundgebungen und Streikaktionen erst nach 16 Uhr. Zwar ruft der DGB Berlin-Brandenburg zu Aktivitäten während des Tages auf, aber auch hier wird eher Zurückhaltung geübt, wie die Aktionsbeispiele zeigen: Beschwerden und Forderungen zur Gleichstellung beim Arbeitgeber deponieren, den gewohnten Kaffee nicht kochen oder frauenfeindliche, sexistische Plakate im Betrieb überkleben. Beim Streikkomitee Mecklenburg-Vorpommern reichen die Pläne von eine „Klagemauer“ für arbeitsuchende Frauen bis hin zur Denkmalenthüllung vor dem Arbeitsamt.
Die Dresdener Frauen rufen zu einem alternativen Fürstinnenzug auf. Aus den übrigen Teilen der neuen Bundesländer gibt es bisher jedoch kaum Resonanz auf den Streikappell. Und das bedauern die Organisatorinnen einhellig, in Ost wie West.
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