: Ja wenn der Erzählprofessor erzählt!
■ Manche tun es am Tresen, andere wohl oder übel jeden Abend im Kinderzimmer, Johannes Merkel unterrichtet es an der Uni
An der Bremer Uni nennen sie ihn den „Kinderonkel für Sozialisation“, den Kinderbuchautor, Medienwissenschaftler und Erzählprofessor Johannes Merkel. Seit über 15 Jahren macht er sich in Sachen mündlicher Wiedergabe von Geschichten stark und ist dafür weit über Bremen hinaus bekannt geworden. Die taz setzte sich zu ihm an den Küchentisch .
Sind Sie Vater?
Ich habe eine siebenjährige Tochter.
Dann sind Sie sicher ein Gute-Nacht-Geschichten-Erzähler. Kann man das eigentlich lernen?
Also, erzählen kann jeder, schlicht und einfach. Und tut's jeden Tag. Man erzählt am Kneipentresen oder wie man gestern die blöde Kuh gesehen hat oder den tollen Typ. Die Erzählfähigkeit lernt man als Kind wie die Muttersprache. Wenn es Leute gibt, die's gut können, ist das wohl nicht unbedingt angeboren. Die bekamen einfach sehr früh die Anregung dazu. Lernen kann man's, indem man's macht. Man gewöhnt sich einfach an, ein bißchen mehr von dem zu erzählen, was man erlebt.
Wir versammeln uns zuhause dazu immer um den Küchentisch – Sie veranstalten Erzählseminare an der Uni. Was machen Sie da mit den StudentInnen?
Da kommt's vor allem drauf an, die Leute aus sich rauszuholen. Dann wird geprobt. Es gibt so gewisse Faustregeln, zum Beispiel wie man sich eine Geschichte vermündlicht. Grundlage dafür sind Schrifttexte. Die ein paar Mal lesen, die Augen schließen, die Handlung wie im Film ablaufen lassen und dann mit diesem Film sprachlich improvisieren, eben erzählen. Und dann kommen natürlich die Techniken der Darstellung dazu. Erzählen ist ja beileibe nicht nur Reden. Also: Wie übersetze ich einen Vorgang in eine Handgeste? Das kann man schulen.
Geschichten aus fremden Ländern gehören auch zu Ihrem Repertoire. Die sind aber ursprünglich in ganz bestimmte Rituale eingebettet. Macht es überhaupt Sinn, diese Geschichten fernab davon wiederzugeben?
Na problemlos. Nur ist natürlich eine Geschichte aus China, die ich hier erzähle, nicht mehr die gleiche. Sie darf, sie soll sich ja verändern. Das fängt schon damit an, daß ich versuche, mein Publikum einzubeziehen. Man hört Zwischenrufe, und geht drauf ein. Dann wird das halt ein Märchen, das ist ja auch ein fremdartiges Gebilde, weil es von einer anderen, der vorindustriellen Zeit handelt, selbst wenn es ein deutsches Märchen ist.
Womit wir bei der Phantasie wären. Sind denn die geflunkerten Geschichten nun die besten?
Da sind die Grenzen fließend. Sobald man eine Geschichte erzählt, wird aus der realistischen Alltagsgeschichte eine phantastische. Erzählen Sie irgendein spannendes Erlebnis, das was hermacht, zehn Mal hintereinander. Die zehnte Fassung stimmt in jedem Fall nicht mehr mit den Tatsachen überein. Aber das ist die beste Geschichte. Bei Kindern kommt man sowieso automatisch ins Flunkern. Erzählen Sie zum Beispiel Kindern aus Ihrer Kindheit. Schon beim dritten Mal wird alles ein bißchen schöner, größer, bißchen toller.
Geschichten haben doch immer auch Erfahrungen transportiert und die Welt erklärt. Sollten wir nicht die Lehrer wieder dazu bringen, im Unterricht zu erzählen?
Leider machen das nur einige wenige Exemplare. Es gab einen, dem ich das mal beibringen konnte. Der ist jetzt Lehrer in einem kleinen Dorf bei Ottersberg und macht seinen ganzen Unterricht mit irgendwelchen absurden Geschichten. Aber sonst...Erzählen heißt ja immer, daß ich mich körperlich präsentiere, daß ich meinen Spaß habe und zeige, was bei mir abläuft. Der Erzähler bewegt sich immer zwischen Traditionsträger und Unterhalter. Davor schrecken die Lehrer nun mal zurück. Viele übersehen, daß die Kinder das in Geschichten versteckte Wissen einfach viel eher und länger behalten.
Sie haben sich jetzt zum erstenmal mit dem Erzählen auch an Erwachsene herangewagt. Warum?
Draufgekommen bin ich da über die Mütter, die bei meinen Erzählstunden für Kinder immer im Hintergrund rumgekichert haben. Ich glaube einfach, daß die Leute heute grundsätzlich nach einer Kommunikation suchen, die zwischen Fernsehen und Mittagstisch liegt. Das wird in letzter Zeit regelrecht vermarktet. Rafik Schami zum Beispiel, der mixt das mit orientalischem Flair und hat ein immenses Publikum damit. Auch unsere Unigruppe hatte schon ganz nette Erfolge in Altersheimen oder auch bei Neunt- und Zehntklässlern. Erstaunlich, aber wahr. Fragen: Silvia Plahl
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