: Im Osten bringt der Storch die Kinder
■ Sparmaßnahmen bedrohen den einzigen rollenden Kreißsaal der Bundesrepublik / Gesundheitsverwaltung ist für die Erhaltung, Innenverwaltung gegen hohe Kosten
Der sogenannte „Storchenwagen“ – das einzige Geburtshilfe- Fahrzeug der Bundesrepublik – fährt angesichts der drastischen Sparmaßnahmen in eine ungewisse Zukunft. Seit nunmehr zwölf Jahren kommt der speziell eingerichtete Rettungstransportwagen (RTW) schwangeren Frauen kurz vor der Entbindung zur Hilfe und verhindert so manche – nicht ungefährliche – Taxi-Geburt.
Zweihundert Babys auf Rädern geboren
In dem rollenden Kreißsaal – unter anderem mit Inkubator und sterilem Nabelbesteck ausgestattet – erblickten schon rund 200 Hauptstädter das Licht der Welt. Hebamme Christel Nerling – von Anfang an auf dem „Storchenwagen“ – weiß, wie schnell noch in letzter Minute der Schwangerschaft etwas schiefgehen kann. Sauerstoffmangel unter der Geburt könne lebenslange Folgen haben. „Bei aller Hochachtung für die Rettungssanitäter – eine Entbindung beherrscht man nicht nach einem Kurs.“ Gerade bei komplizierten Geburten brauche man Erfahrung.
Und wenn sich das Kind entschlossen habe, auf die Welt zu kommen, kann man es nicht vertrösten. Dann gilt es zu handeln, und zwar möglichst schnell. „Diese Minuten sind die entscheidenden“, sagt die 50jährige. „Wir können die Herztöne des Kindes ständig mit einem kleinen Ultraschall-Dopplergerät überwachen und sofort eingreifen, wenn es lebensbedrohlich wird.“ Zudem konnte der Wagen schon vielen Frühchen, die blitzschnell in ein neonatologisches Zentrum verlegt werden mußten, das Leben retten.
Für Christel Nerling steht fest: „Mit der Abschaffung des Geburtshilfe-Fahrzeugs wird am Schutz für das ungeborene Leben gespart. Und das, obwohl ohnehin nur noch wenige Babys geboren werden.“ 1987 wurden rund 3.500 Fahrten des im Krankenhaus Weißensee stationierten Wagens registriert, 1993 waren es trotz der drastisch gesunkenen Geburtenzahlen immerhin noch über 2.000 Einsätze, wo Mutter und Kind in Gefahr schwebten.
„Kein Pappenstiel zu Zeiten des Sparens“
Die Senatsgesundheitsverwaltung ist nach den Worten von Pressesprecher Ulf Hermann aus medizinischer Sicht eindeutig für die Erhaltung des „Storchenwagens“. Haushaltsreferent Detlef Schlaugath aus der Senatsinnenverwaltung hingegen rechnet vor, daß der Wagen jährlich eine Million Mark kostet. Denn neben den Rettungssanitätern ist auch eine Hebamme rund um die Uhr im Einsatz. Außerdem ist das Fahrzeug mit zusätzlicher Technik ausgerüstet – „kein Pappenstiel zu Zeiten des Sparens“, meint er. Zumal in der Stadt auch 14 Notarztwagen stationiert sind. Nun sei die Meinung der Krankenkassen abzuwarten.
Doch die steht bereits fest: „Die Berliner Notfalldienste sind nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft (AG) der Berliner Krankenkassen gut strukturiert, und eine Erweiterung ist nicht notwendig“, so teilte Frank Braungart, AOK-Sprecher, stellvertretend für die AG mit.
Als das Rettungswesen des Ostteils nach der Wiedervereinigung in das System der Feuerwehr im Westteil Berlins eingegliedert wurde, erklärten die Verantwortlichen den „Storchenwagen“ zum Modellprojekt. Die Entscheidung über dessen Weiterführung steht indes bereits seit Dezember 1993 aus. Marion Schierz/ADN
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