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Großes Ballonloslassen

■ Berlinale 94: Viel Italien, ein bißchen Sarajevo und Jeanne d'Arc im Anzug

Allons enfants, diesmal ist kein Vorab-Bashing angesagt; auch wenn dies und das nicht paßt, muß man doch im Großen und Ganzen konzedieren, daß die Sache wohl einiges abwerfen wird. Reden wir nicht über „Little Buddha“, den Eröffnungsfilm (den kennt man irgendwie schon, wenn man die Plakate gesehen hat und wer Keanu Reeves mag, sollte eh noch mal über alles nachdenken), aber reden wir zum Beispiel über das Forumsprogramm, über „The Diamond Queen“ mit „Fearless Nadia“ aus Indien: Hierbei handelt es sich um eine behoste Dame, gegen die Mae West eine harmlose Göre aus Bullerbü gewesen sein muß. „Fearless Nadia“ hetzte mit schnaufendem Roß durch Dreißiger-Jahre-Agfa-Color Feld-Wald- Wiesen bei Dehli, verteilte Faustschläge, über die es wirklich nichts zu lachen gab, und rollte vor hübschen Knaben mit den Augen, daß die vor Freude glucksten. War aber logischerweise auch gerecht und Robin Hood. Dabei hat sie sogar was Vertrottelt-Harmloses, eine Art weiblicher Peter Falk, der aber indisch mit dem Hals wackeln und schlangenmäßig tanzen kann. Und zusätzlich sieht man ein bißchen was von „Indien meets Fairbanks meets Camp“, und so weiter. (Aufgemerkt: läuft gleich am 11.2.!)

Ansonsten ein kurzer, und — Überraschung! – witziger Film aus Sarajevo, „Das Ende des Theaters“, über den sehr viel ausführlicher zu reden sein wird als über das Mammut-Opus „Der Untergang des Jahrhunderts“ aus Kroatien, in dem der Filmemacher versucht, die kroatische Geschichte zu erzählen, dabei aber permanent über sich selbst stolpert.

Die großen Brocken im Wettbewerb: Peter Weir hat die Katastrophe diesmal ausnahmsweise an den Beginn seines Films gesetzt: „Fearless“ betrachtet die Überlebenden eines Flugzeugunfalls, die Italiener lassen Richter, Katholiken und Europudding auffahren. Derweilen kann man sich schon mal warmlaufen für Alain Resnais „Smoking“ und „No Smoking“, den wahrscheinlich filmisch avanciertesten Wettbewerbsbeitrag.

Deutschland, das sind in diesem Jahr zwei Komödien, von denen die eine sich mit der Stasi befaßt, („Abschied von Agnes“), die andere mit Christiane Hörbiger, Udo Samel, Katharina Thalbach oder zum Beispiel Detlev Buck als medium-coolen Chauffeur. Bei „Alles auf Anfang“ gibt es nichts zu lachen, aber alles zu weinen. Hoffen wir also auf „Der Blaue“ mit – immerhin – Manfred Krug, der einen Minister mit Stasi-Vergangenheit gibt.

Von unserem Irland-Korrespondenten Ralf Sotschek kommt ein Beitrag zu „Im Namen des Vaters“ von Jim Sheridan, mit Daniel Day-Lewis und Emma Thompson, der sich mit den Prozessen gegen die IRA und deren Umfeld beschäftigt. Was man so Starkino nennt, kommt ebenfalls aus GB: In Richard Attenboroughs „Shadowlands“, einer ziemlich gepriesenen 19. Jahrhundert-Chose, treffen Anthony Hopkins und Debra Winger (!) aufeinander; während derselbe Anthony Hopkins mit Emma Thompson bei James Ivory „Was vom Tage übrig blieb“ aufsammelt. Ansonsten wartet alles auf Brian de Palmas „Carlito's Way“ mit Al Pacino, der sich inzwischen tatsächlich ein veritables Scarface angelebt hat.

Schade, daß die Ausbeute aus China dieses Jahr mit nur einem einzigen Film, „Der Rotfuchs“, nicht so berühmt ist; wie es mit Zhang Yimou und Konsorten weitergeht, wird man wohl erst in Cannes erfahren. Dafür ist es gelungen, den kubanischen Spielfilm „Erdbeer und Schokolade“ nach Berlin zu holen. Dieser Film über einen schwulen Mann ist der Zensur nur entgangen, weil Castro und die Seinen ihn in den Himmel gelobt haben (natürlich um ihn sich recht weit vom Leibe zu halten): Der Film beschreibe Verhältnisse, wie sie gaaaaanz früher einmal existierten... Ganz Kuba soll hineinströmen.

Das Panorama, korrekt wie immer, hat eine Sektion „starke Frauen“ zusammengestellt, und es geht das Gerücht, daß jedenfalls „Dialogues with Mad Women“ eine hochinteressante Psychiatrie- Geschichte sein soll. Ganz stark die Frau bei Rivette: Sandrine Bonnaire gibt, in einer Tour de Force, die „Jeanne la Pucelle“, die Johanna von Orleans, (zwei Filme mit insgesamt 326 Min.) Die Cahiers sind jedenfalls begeistert.

In royaler Willkür hier noch ein paar Titel zum Vorkosten: „Your Kunst Is Your Waffen“, eine halbe Stunde lang, aus Amerika; „Pickled Punk“ aus Japan; „Wintertage, Frühlingstage“ aus China oder „D'Est“ von Chantal Akerman; „Ab nach Tibet“ aus dem Hause Achternbusch oder „Sachsenhausen“ ein Film aus der Sektion „Geschichte und Gegenwart“. Dazu und überhaupt: später mehr.

Zu vermerken bleibt, daß die Presse sich, wie gehabt, weit ab vom Schuß mit dem Haus der Kulturen abzufinden hat. Nun denn: Bleistifte gespitzt, Brille geputzt, Nutella-Glas bereitgestellt und ab. Mariam Niroumand

Internationale Filmfestspiele Berlin, 10.-21. Februar, Kartenvorverkauf im Europa-Center und im International. Dauerkarte 250 DM

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