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Grundsicherung

■ betr.: „Ein soziales Netz gegen die Armut“, taz vom 28.1.94

Wer – wie gegenwärtig die Grünen/Bündnis 90 – glaubt, mit der Forderung nach einem Grundsicherungsniveau von 50 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens einen Beitrag zur Armutsbekämpfung und zur Verbesserung der prekären Lebenslagen von armen Menschen zu leisten, wird sich schnell wundern, wenn die Forderung tatsächlich Gehör findet. Gemessen an den zur Zeit bestehenden Sozizalhilfesätzen (die neben einem Grundbetrag auch noch zusätzliche Beihilfen und die Mietkosten abdecken) läuft die Forderung problemlos auf eine Reduzierung und keineswegs auf eine Erhöhung des Anspruchsniveaus hinaus. Dies zumindest dann, wenn die Beträge zur Grundlage genommen werden, die in der aktuellen Armutsdiskussion von einer ganzen Reihe relativ renommierter Forscher errechnet wurden.

Der Armutsbericht der Caritas beziffert die 50-Prozent-Grenze des durchschnittlichen Nettohaushaltseinkommens auf 814,32 DM im Monat (1991) und kommt bei Abzug der durchschnittlichen Miete sogar auf nur 586,31 DM.

Ein Mitarbeiter des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin hat z.B. für einen alleinstehenden Haushalt einen Betrag von 758 DM im Jahr 1991 als 50-Prozent-Schwelle des Nettohaushaltseinkommens errechnet. An diesen 50-Prozent-Wert haben auch andere Armutsuntersuchungen, wie z.B. der jüngst für die Stadt Hamburg erschienene Armutsbericht („Armut in Hamburg“), angeknüpft.

Auch eigene Berechnungen von einem Kollegen und mir im Rahmen eines Armutsberichts für Bremen und auf Grundlage der Daten des statistischen Landesamts ergeben erheblich geringere Beträge für die 50-Prozent-Grenze der Haushaltseinkommen als für die erzielbaren Hilfen nach dem geltenden Sozialhilfegesetz.

Die möglichen fatalen Auswirkungen bei Berücksichtigung des Lohnniveaus in den neuen Ländern seien hier nur am Rande erwähnt.

Es wird kaum möglich sein, 50 Prozent des Nettoeinkommens als Grundsicherungsniveaus einzufordern und logisch zu begründen, ohne eine Differenzierung nach Haushaltsgrößen und die gezahlten Mieten (wie ja auch das Einkommen aus Wohngeld) einzubeziehen. Von der Forderung, darauf ein Grundsicherungsniveau zu begründen, sollte dann aber schleunigst wieder Abstand genommen werden. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Forderung nach 50 Prozent des durchschnittlichen Nettohaushaltseinkommens zu einer Verschlechterung der finanziellen Ausstattung armer Leute genutzt wird, ist nur allzugroß! Volker Busch-Geertsema,

Bremen

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