: Rußland leiht Serben diplomatisches Gewicht
■ Warnungen russischer Politiker sollen Nato-Enthusiasmus dämpfen
In Reaktion auf den Beschluß der Nato scheint Rußland im Begriff, sich offen auf die serbische Seite zu stellen und seine verbliebene diplomatische Macht zu nutzen, um eine Schwächung der serbischen Position in Bosnien zu verhindern. Die gestern vom Außenministerium in Moskau beantragte Dringlichkeitssitzung des UNO- Sicherheitsrates soll dazu dienen, die Nato-Beschlüsse durch einen UNO-Beschluß entweder zu verwässern oder anderenfalls vielleicht sogar ein Veto einzulegen. Moskau hat stets die Meinung vertreten, eventuelle Militäraktionen müßten durch einen neuen UNO- Sicherheitsratsbeschluß gedeckt sein.
„Das ist nicht Sache der Nato, es ist die Angelegenheit der UNO“, sagte gestern Vize-Außenminister Anatoli Adamyschin. Diese Position hatte am Mittwoch Außenminister Andrej Kosyrew in einem Brief an UNO-Generalsekretär Butros Ghali dargelegt. Außenministeriumssprecher Grigori Karassin fügte später hinzu: „Mit dem einseitigen Ultimatum gegen die bosnischen Serben kann Rußland nicht einverstanden sein.“
Bereits am Mittwoch hatten Politiker aller Schattierungen im russischen Parlament offene proserbische Einmütigkeit gezeigt. Die Duma schloß sich der zuvor vom Präsidialamt bekräftigten Position Präsident Boris Jelzins an, wonach ein westlicher Militärschlag gegen die bosnischen Serben zu verhindern sei. Nationalistenführer Wladimir Schirinowski verkündete: „Ein Bombenangriff in Bosnien ist eine Kriegserklärung an Rußland; es ist der Beginn des dritten Weltkriegs.“ Die vom Ökonomen Grigori Jawlinski geführte Parlamentsfraktion erklärte, eine Nato- Beteiligung „an einem bewaffneten Konflikt außerhalb des Nato- Gebietes könnte das militärpolitische Gleichgewicht in Europa zerstören und Rußlands nationalen Interessen widersprechen“. Reformpolitiker Jegor Gaidar sagte, Rußland müsse sich in der UNO „strengstens gegen eine Bombardierung bosnisch-serbischer Positionen“ aussprechen und notfalls sein Veto einlegen.
Eine konkrete Warnung kam vom Vorsitzenden des verteidigungspolitischen Ausschusses der Duma, Wjatscheslaw Nikonow. „Für die russisch-amerikanischen Beziehungen wäre es ein Desaster“, sagte er. „Wenn Ihr anfangt, Jugoslawien zu bombardieren, werden wir nie den Start-II-Vertrag ratifizieren – nie.“
Es wird nun wahrscheinlich Konsultationen zwischen Washington und Moskau geben, um die Lage zu entschärfen. Ein geplantes Gespräch zwischen Clinton und Jelzin war am Mittwoch wegen einer Erkrankung des russischen Präsidenten nicht zustande gekommen. Clinton äußerte sich nach dem Nato-Beschluß versöhnlich. Es stünden im Bosnien-Konflikt zwar „klare Interessen“ der USA auf dem Spiel, die „die Beteiligung Amerikas und das Ausüben von Führungskraft“ rechtfertigten. Jelzin müsse jedoch zu verstehen gegeben werden, daß das Nato- Vorgehen nicht allein gegen die Serben gerichtet sei. AFP/wps/dpa
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