: Lebensziele, die winken
■ Kleinere Dramen: Correntes „Federal Hill“ im Panorama
Sie könnten fünf Freunde sein wie so viele andere in amerikanischen Filmen über die schnell vergehende Jugend. Denn von den Cadillac-Bruderschaften der Fifties über die flowerpowernden Fünf in Hair bis zu den Straßeneckengangs des black cinema zieht sich der Hauch von Tragödie durch das immerfort zerbrechende Weltbild der Teenager und Frühtwens, an das auch Michael Correntes „Federal Hill“ anknüpft. Zum Schluß sterben die besten, und der Rest geht desillusioniert und längst nicht erwachsen seiner Wege. Federal Hill ist das Viertel der italienischen Arbeiterschicht auf Rhode Island. Irgendwie hat man sich dort mit dem American way of life arrangiert: Wer fest genug zupackt, kann es vom Stift zum Bauunternehmer bringen, dem KFZ-Mechaniker winkt ein Gebrauchtwagenhandel und eine sizilianisch organisierte Kiez-Mafia kümmert sich um die Gestrauchelten und sozial Schwachen, damit ihre Gemeinde nicht verslumt. Ein kleiner, familiärer Italo-Kosmos am Rande von New York, den die Jugendlichen nur am Wochenende verlassen, um durch Downtown zu cruisen, liebestolle Post-Feministinnen aufzugabeln und Drogen an die Yuppie-Oberschicht zu verdealen.
Auf dem Heimweg können alle recht herzlich über die peinlich um Streetcredibility bemühten Soft- Beatniks von der Universität lachen. Schließlich weiß man, was den „college punks“ zum Leben fehlt, und dieses Gefühl verschweißt die Gang noch mehr. Man muß sich seine Identität nicht herbeireden, man gehört einfach dazu. An Werktagen wird bei Chips und Bier in der Wohnung des Gruppenältesten (vom Typ her ein ganzer James Garner und sehr lustig) um Kleinstbeträge gezockt: Die Underdog-Hermetik bleibt geschlossen. Ausgerechnet eine holperig dahinhuschende Lovestory zwischen dem schönlingshaften Bandenführer Nicky und der unausgefüllt Archäologiestudentin Wendy wiegelt Klasse gegen Klasse auf. Während die beiden sich bei kunstvoll zubereiteter Spaghetti-Folklore al olio lieben lernen, empfindet Ralph, ein Heißsporn mit lockerer Revolverhand, diese Romanze bereits das Ende der gruppeninternen Unmittelbarkeit. Doch Nicky ist blind gegenüber allen Marx- und Ethnozismen, die der Freund mit einer gehörigen Wut aus dem Bauch läßt. Also muß Ralph handeln: In Erinnerung an gemeinsame Pferde stiehlt der enttäuschte Rebell bei Wendys Eltern, fordert die verlorene Gangzugehörigkeit von Nicky ein und verwandelt das junge Glück in ein Scherbengericht: Am Ende empfinden alle aneinander vorbei, Wendy geht nach Italien, der passionierte Koch stirbt durch ein Mißgeschick bei Mafia-Streitigkeiten und Ralph läuft in einen finalen Amok.
Michael Corrente hatte sich den Stoff ursprünglich als Einakter fürs Theater gedacht. Entsprechend laut ist der brechtische Unterton, mit dem die Figuren ihre sozialen Rollen ausdiskutieren. Aber neben geschliffener Textarbeit sind in der Filmfassung sehr viele Gesten und Bilder verlorengegangen. Wenn Nicky und Wendy ihre West Side Story zwischen italienischen Kaufmannsläden und Pizzerien erleben, dann wirkt der gemeinsame Kiez-Bummel ähnlich weltfremd und steif wie der von beliebigen Touristenpärchen, die sich am Wochenende vom Meer ins Ghetto verirrt haben.
Und selbst die Brücken und Brüche, die Väter und Söhne der italienischen Zuwanderer binden, bzw. trennen, dienen mehr als anschauliches Erklärungsmodell der ethnisch gefärbten Konflikte. Dabei hätte man einfach auch stundenlang Ralph und seinem depressiven Senior zuhören können. So bleibt Federal Hill allerdings sehr weit hinter frühen Scorceses zurück. Harald Fricke
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