Ein deutsches Anliegen in Weiß

■ ARD und ZDF in Lillehammer: Bitte mehr Information statt langweiliger nationaler Besoffenheit

Wintersportfreaks erinnern sich ungern an die Olympischen Winterspiele 1992 in den französischen Savoyen: Immer, wenn es besonders spannend wurde, waren die Öffentlich-Rechtlichen nicht auf Sendung. Eishockey wurde damals für präsentabler gehalten als Eiskunstlaufen, Skilanglauf der Frauen fand so gut wie überhaupt nicht statt, und überhaupt litten die Berichte unter einem humorigen Willen zum Feuilleton, zur allzu offensichtlichen Pointe.

Gewiß, der Nachrichtenpflicht wurde Genüge getan. Doch man hatte sich zu begnügen: beim 15-Kilometer-Rennen in den Loipen von Le Brassus etwa mit dem Einlauf der Siegerin oder mit dem Goldlauf beim Buckelpistenwettbewerb. Sobald deutsche Sportler nicht mit von der Partie waren oder sich eher auf den letzten Plätzen einnisteten, war's mit dem Interesse der hochdotierten Infotainer aus den Sportredaktionen vorbei.

Was das alles mit Sport, mit der Dramaturgie und der Dramatik im Kampf um Zehntel und Hundertstel zu tun hat, blieb offen. Gerne erinnerte man sich deshalb an Bruno Morawetz, der leider 1980 bei den Winterspielen in Lake Placid nur deshalb berühmt wurde, weil er den nach den ersten Zwischenzeiten vorne liegenden Langläufer Jochen Behle verbal verfolgte. „Wo ist Behle?“, stotterte er verzweifelt – und der TV-Zuschauer fühlte wie er, fragte dasselbe und glaubte sich kompetent begleitet.

Was Morawetz – auch Werner Schneyder, Harry Valerien – von ihren Erben auf den Redaktionsstühlen unterschied, war journalisitsche Kompetenz, die Ahnung zumindest, daß vor aller Präsentationswut die Information kommt. Valerien wußte eben immer, was selbst der nichtfavorisierte Abfahrer aus Schweden zu leisten imstande sein würde, teilte auch mit, wie die Strecke beschaffen ist und was das alles mit uns zu tun hat: „Mit Spannung, mit Lust an der Teilnahme.“

Heinz-Florian Oertel ist auch so einer. Seinen Fall mag man aus Gründen deutsch-deutscher Räson bedauern, in sportjournalistischer Hinsicht freilich machte er seinen BRD-Kollegen allemal etwas vor: Beim Eiskunstlaufen kommentierte er minderbegabte Läuferinnen aus Taiwan ebenso gerecht wie später die Konkurrenz seiner Landsfrau Katarina Witt.

Und die Kufenkenner Westdeutschlands? In Albertville zeigten ARD und ZDF nur die jeweils besten zwölf Läufer, Läuferinnen und Paare. Man hatte es offenbar nicht nötig, hintere Ränge in Szene zu setzen: Der deutsche Medaillenrausch – ermöglicht durch die Sportkaderschmieden der Arbeiter- und Bauernrepublik – machte das Sportpersonal in den TV-Anstalten so nationalbesoffen, wie die DDR-Medienschaffenden es während der größten DDR-Medaillenbeutezüge nie waren.

Insofern klingt es wie ein zweischneidiges Versprechen, wenn ZDF-Olympiaprogrammchef Rainer Deike formuliert: „Es geht nun mal nichts über das Live-Erlebnis“ – eines, das sich ARD und ZDF preiswerte 17 Millionen Mark für 1.200 Übertragungsstunden kosten lassen. Was er mit der Betonung des Live-Charakters meint, hat der Mann, der so langweilig Tennis kommentiert wie Anke Huber spielt, nicht weiter präzisiert.

Wird es wieder enervierende Konferenzschaltungen geben? Wird man Fachleuten die Gelegenheit geben, den Unterschied zwischen Innen- und Außenski zu erklären? Wird es Reportern wie Wilfried Hark beim Biathlon ermöglicht, den Zuschauern ausführlich und ohne Androhung von Studiogästen („Wir schalten ins Studio um, da sitzt gerade Bronzemedaillegewinnerin Soundso, die gerade dem rührend ahnungslosen Heribert Fassbender ein Interview geben möchte, auf das dieser sich garantiert mal wieder nicht vorbereitet hat“ – oder so) die Dramatik des Kampfes um Laufzeiten und Schießergebnisse nahezubringen? Wird Deike dafür sorgen, daß seine Reporterschar wirklich Bescheid weiß über die Sportarten?

Vermutlich steht das Gegenteil zu befürchten. Mit satten 30 deutschen Medaillen rechnen Experten – und die bedeuten: 30 Studiogäste, 30 Gewinnspiele, 30 Verlautbarungen, die zudem von den Moderatoren noch rührselig unterbrochen werden (Ausnahme vermutlich: Magdalena Müller), 30 Feiern samt Einladungen zu irgendwelchen TV-Shows („Wir laden Sie jetzt schon zur ARD-Sportgala im Dezember ein. Sie werden doch sicher kommen, oder?“).

„Wir werden keine Entscheidung verpassen, bei der eine deutsche Medaille möglich ist“, sagt Rainer Deike. Und das bedeutet eben auch zwangsläufig, daß vieles ausgespart werden muß, was rein sportlich interessant sein könnte: Geschichten über SportlerInnen anderer Nationen, Hintergründiges über die Bedingungen in anderen Verbänden, Stories über Titel und Tantiemen. Statt dessen drohen heuchlerische Kondolenzbekundungen in Sachen Sarajevo 1984: Da darf der deutsche Sportreporter sich politisch fühlen.

Womöglich verstehen die Schelte wieder nur diejenigen, die es keineswegs absurd finden, morgens um 9 Uhr aufzustehen, um sich den ersten von vier Läufen im Rodeln anzuschauen, die sich für ein Sportereignis wie eben die Olympischen Spiele Urlaub nehmen, um zwei Wochen lang das Haus nicht mehr zu verlassen, glotzend, sinnierend und Ergebnisse verfolgend. Leute, denen die reportliche Emphase Gerd Rubenbauers nicht reicht, weil sie auch sonst schon von „Gaudimax“ bedient sind, die nicht zufrieden sind mit den deutschtümelnden Reportagefragmenten der öffentlich- rechtlichen TV-Anstalten.

Eurosport hat es übrigens vor zwei Jahren aus Albertville und Barcelona vorgemacht, wie Übertragungen genießbar werden können: Ihre aus alten DDR-Beständen angeheuerten Kommentatoren wußten selbst aus der Pariser Sendezentrale oft klüger zu schwätzen als ihre ARD- und ZDF-Kollegen vom Ort des Geschehens. Eurosport berichtet tatsächlich (fast) rund um die Uhr. Glücklich, wer Kabel hat oder einen Satellitenanschluß.

Selbstverständlich sind ARD- und ZDF-Übertragungen immer noch besser, als würden sie vom Deutschen Sportfernsehen (DSF) oder anderen amerikanisch angehauchten Sendefirmen abgewickelt: Dann ginge es wirklich nur noch nach den Farben Schwarz- Rot-Gold und sonst gar nichts.

Daß sich ARD und ZDF immer mehr von einer zwar deutsch eingefärbten, dennoch international geprägten Übertragungsart verabschieden, liegt in der Angst begründet, gegen die kommerzielle Konkurrenz zu verlieren. RTL und Sat.1 haben schon angekündigt, nicht auf ewig sich damit zufrieden zu geben, von den olympischen TV-Lizenzen ausgeschlossen zu werden.

ARD und ZDF sollen ihren Staatsverträgen zufolge informieren. Daß sie dies nur über Medaillen und andere Meriten tun sollen, steht dort nicht geschrieben. Jan Feddersen