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Früher Stockhausen, später Avantgardist

■ Am Donnerstag gingen die „Berliner Inventionen 94“ zu Ende

„In dem Augenblick, in dem man wieder in einer musikalischen Substanz und einer Kategorie ,Sound‘ zu denken beginnt, die diese Struktur gleichsam umgibt, sind die geräuschhaften Klänge des Schlagzeuges, deren Dauern immer nur kurz sind, nicht mehr geeignet, eine instrumentale Ergänzung zu liefern. Die (Schlag-)Instrumente, die am Beginn der Neuen Musik eine so wichtige Funktion erfüllten, beginnen dann zu verstauben, wenn das Denken wieder retrospektiv wird.“

So beendete Klaus Ebbeke 1985 einen Aufsatz zur Rolle des Schlagzeugs in unserem Jahrhundert, der nach seinem frühen Tod im Programmheft der diesjährigen „Inventionen“, des Berliner Festivals Neuer Musik, abgedruckt wurde. Mit gutem Grund, versteht sich: Die „Inventionen“ hatten in diesem Jahr als Schwerpunkte Musik für Schlagzeug sowie das Oeuvre Stockhausens – in 34 Konzerten, einigen Vorträgen und drei Ausstellungen.

Stockhausens Schaffen seit Mitte der Siebziger ist bekanntlich das, was man gemeinhin „umstritten“ nennt – was wiederum mit seiner Hinwendung zu einem katholisch eingefärbten Mystizismus zu tun hat, aber auch einem kompositionstechnischen Rückzug auf bewährte serielle Methoden. Man mag es da als klaren, wenngleich etwas risikolosen Standpunkt der Veranstalter werten, daß das Programm im wesentlichen den Stockhausen-Festivals glich, die etwa 1968 in Prag und Mexico City oder 1969 in Paris und Bonn stattfanden. Ohne das berüchtigte Spätwerk also. Ein Großteil der Stücke war auch bereits 1970 im deutschen Pavillon der Weltausstellung im japanischen Osaka sechs Monate lang zu hören – täglich fünfeinhalb Studen lang.

Diese Retrospektive der Werke des jungen Stockhausen, in denen das Schlagzeug gar kein Schlag- Zeug mehr, sondern Geräusch- und Klangerzeuger ist, die zudem, ganz im Sinne von Ebbekes Vorahnung, von einer Retrospektive des kompositorischen Denkens in den zahlreichen (Ur-)Aufführungen jüngerer Komponisten begleitet wurde, war das Spannendste, was das Festival zu bieten hatte. Und, das vorneweg: Die Staubschichten waren doch dick genug geworden, um von einer echten Retrospektive zu sprechen.

Stockhausens „MikrophonieI“, in der vier Spieler unter Verwendung eines ganzen Arsenals von Hilfsmitteln ein Tam-Tam traktieren (ein Werk, das leider in einer spannungslosen Interpretation eines Freiburger Hochschulensembles zu hören war), hat in der Nachwelt wenig Spuren hinterlassen. Dafür erfreuen sich Vibraphon und Pauke wieder großer Beliebtheit. Selbst Xenakis scheint in seinen „Pliades“ für sechs ständig wirbelnde Vibraphone und Pauken seinen Ziehvater Varèse zugunsten darstellender Virtuosität vergessen zu haben.

Die junge elektroakustische Musik Englands, der ein Abend gewidmet war, verwendete die Perkussionsgeräte noch geradliniger: in Hochgeschwindigkeits-Attitude. Helmut Zapf hingegen verarbeitete Paukenklänge live-elektronisch, verlor sich aber recht bald im Vorführen traditionellen Materials. Und Stefan Carows und Alexander Kaifels Werke machten auf harmlos-harmonische Klangschwelgerei. Ein Abend mit folkloristischen Exotismen von Peter Garland, Frederic Rzewski und anderen war eben auch nicht mehr als das. Angesichts solch verstaubter Perkussionismen entpuppte sich Stockhausen nicht nur als der Avantgardist des Festivals, seine Werke sorgten auch für dessen Höhepunkte. „Kontakte“, in dem „das Schlagzeug einem elektronischen Tonsatz die klangfarblichen Lichter aufsetzt“ (das kann man wohl schöner als Ebbeke kaum sagen), war in seiner vierspurigen Version – keine Stereoanlage kann das so wiedergeben – frischer denn je. „Mixtur“, mit dem hervorragenden Ensemble Köln unter der Leitung von Robert HP Platz, warf, auch aufgrund seiner raffiniert einfachen Live-Elektronik, ein völlig neues Licht auf viel jüngere, mikrotonale Klangkompositionen: etwa Luigi Nonos „A Carlo Scarpa“, dessen Klangwelt dort bereits vorweggenommen ist. Und neben Stockhausens „Mantra“ für zwei Klaviere und Ringmodulatoren geriet die Uraufführung von Dieter Schnebels „Monotonien“ für Klavier und Elektronik (von der offensichtlich jede Amateur- Rockband mehr versteht) geradezu peinlich.

Der Festivalteil außerhalb der Schwerpunkte wurde fast ausschließlich von DAAD-Stipendiaten bestritten. Und die machten einfach Business as usual: der DAAD-Stipendiat David Moss sang im mißglückten, vom DAAD unterstützen Musiktheaterprojekt von Roberto Paco Dali und trommelte in der Band des DAAD-Stipendiaten Peter Machajdik, der sein Stück in öffentlicher Proklamation diversen DAAD-Honoratioren widmete. Den Programmtext über des DAAD-Stipendiaten Gordon Monahans Futurismus- Revival-Performance mit, am Klang-Resultat gemessen, unökonomischem Technikaufwand schrieb der DAAD-Stipendiat Peter Garland. Solche Querverbindungen lassen sich scheinbar beliebig weiterverfolgen. Musikalisch aber friert diese Abspaltung der ehemaligen New Yorker Downtown-Szene sich institutionell selbst ein, und was Ebbeke einst über die Darmstädter Schule geschrieben hatte, gewinnt neue Aktualität: „Nachdem (...) die ,Väter‘ abgetreten waren, hatte die Jugend deren Position eingenommen. Die nunmehr ,etablierte‘ Avantgarde empfand sich weiterhin als Jugend, das ,kritische‘ Verständnis von Musik war seines Widerparts und damit seiner Substanz beraubt. Ein weiterer Wechsel der musikalischen ,Paradigmen‘ kündigt sich an.“ In der frommen und gefaßten Hoffnung, daß er Recht behalten wird, darf man sich auf die nächsten Inventionen freuen. Fred Freytag

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