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Wenn ihr uns stecht

Israel als Nachkriegsschauplatz, auf dem die Erinnerung die Gegenwart bestimmt: Philip Roths „Operation Shylock. Ein Bekenntnis“  ■ Von Mariam Niroumand

Philip Roths Romane funktionieren immer noch wie Trojanische Pferde, auch wenn die Absicht spätestens seit „Mein Leben als Sohn“ nicht mehr so kriegerisch ist wie noch zu Zeiten des wilden Alexander Portnoy. Im Bauch eines Buches mit dem Titel „Portnoys Beschwerden“, das ein gemütlicher Familienroman hätte werden können, findet sich delirante Adoleszenten-Pornographie („Ich bin der Raskolnikow unter den Wichsern“). Wenn der Buchdeckel „die Fakten“ über den Erzähler verspricht, bekommt man aufs charmanteste die Hucke vollgeschwindelt; und wo mit einer Groteske zu rechnen war – David Kepesh erwacht eines Morgens als riesiger Busen („The Breast“) –, da wird es plötzlich bitterernst.

Roth steigt tatsächlich nicht zweimal in denselben Fluß, und wenn so jemand seinen Roman „Operation Shylock“ im Untertitel „Ein Bekenntnis“ nennt (im Amerikanischen sogar „A Confession“), dann könnte es am Ende sogar tatsächlich eins sein.

„Unsere Juden sind wieder da!“

Roth führt uns im wundervollsten Roth-Sound mitten hinein in den Schlamassel: „Ich erfuhr von dem anderen Philip Roth im Januar 1988, als mein israelischer Cousin Apter mich ein paar Tage nach Neujahr in New York anrief, um mir zu sagen, daß der israelische Rundfunk berichtet habe, ich würde in Jerusalem dem Prozeß gegen John Demjanjuk beiwohnen...“ Der andere Philip Roth – die Amerikaner haben das Wort doppelgaenger importiert wie weltbild oder angst, es ist so schön deutsch, so schauer-romantisch – ist nicht einfach irgenein anderer Philip Roth, sondern es ist einer mit Mission.

Der da in Jerusalem hockt und als der berühmte Schriftsteller agiert und agitiert, will die aschkenasischen Juden aus Israel weg nach Europa zurückführen; er ist der Anti-Moses, der Anti-Herzl, und er hat in seiner Sache schon bei Walesa und im Vatikan vorgesprochen. Der echte Roth ruft bei dem wahren Roth an, als der französische Journalist Pierre Rouget getarnt: Was soll das heißen, „Diasporismus“? Ist er sich nicht bewußt, wieviel Judenhaß es immer noch in Europa gibt? „Was immer an Judenhaß in Europa gegenwärtig sein mag... Gegen diesen verbliebenen Antisemitismus stehen kräftige Strömungen von Aufklärung und Moral, die von der Erinnerung an den Holocaust gespeist werden... Im Islam existiert ein solches Bollwerk nicht. Eine jüdische Nation auszulöschen, das würde dem Islam keine einzige schlaflose Nacht bereiten, es sei denn bei der großen Nacht der Siegesfeier. Ich denke, Sie würden mir zustimmen, daß ein Jude heute sicherer ist, wenn er ziellos in Berlin umhergeht, als wenn er unbewaffnet die Straßen von Ramallah betritt?“ Im Feuereifer beschreibt Roth dem ungläubig staunenden Roth, welche große Freude auf den Bahnhöfen in Warschau, Prag, Sofia herrschen würde, wo auf Transparenten jubilierend stünde: „Unsere Juden sind wieder da!“

„Wir dachten, Sie sind in einer Irrenanstalt!“

Klar, daß der echte Roth nun auch nach Jerusalem muß. Um das Knäuel der Identitäts-Fallstricke endgültig zu verwirren, findet die Konfrontation mit dem etwas hübscheren Doppelgänger („Er sah aus wie das Nachher zu meinem Vorher – in der Reklame eines Schönheitschirurgen“) vor dem Hintergrund der Gerichtsverhandlung gegen John Demjanjuk statt. Dessen Verteidigungsstrategie beruhte bekanntermaßen ja eben darauf, sich als das genaue Gegenteil der Person zu präsentieren, für die ihn die Anklage und mehrere ehemalige Hälftlinge hielten, für Iwan den Schrecklichen, den Oberschlächter des Vernichtungslagers Treblinka.

Hinzu kommen Figuren wie Jinx Possesski, eine blondbusige Krankenschwester, die Mitglied der „Anonymen Antisemiten“ ist, und die Geliebte des wahren Roth („Ich heiße Wanda Jane und bin Antisemitin“). Und ein gewisser Smilesburger, der den echten Roth für den wahren Roth hält und ihm eine Spende von einer Million Dollar für sein Projekt „Diasporismus“ in die Hand drückt, sich später aber als Funktionär des Geheimdienstes Shin-Beth entpuppt, der den echten Roth für „Operation Shylock“ anwirbt: Er soll amerikanische Juden ausfindig machen und denunzieren, die die PLO unterstützen (was der echte Roth natürlich nur kann, wenn er als der wahre Roth, der „Diasporist“, agiert... können Sie noch folgen?)

Die Sache läßt sich, so freut es die Leserin, wie ein Tanzparkett von verschiedenen Seiten betreten. Da ist zunächst mal die obenauf liegende Pikanterie, daß Philip Roth – wie der nach seinem Bilde geschaffene Held seines neuen Buches – nach der Veröffentlichung von „Portnoy's Complaint“ im Februar 1969 tatsächlich ständig Anrufe von besorgten Freunden bekam, die gehört hatten, er habe einen Zusammenbruch erlitten und liege im Krankenhaus, gleichzeitig war von einer Affäre mit Barbra Streisand die Rede (Nice Jewish boy meets nice Jewish girl); später im Mai erhielt er eine exorbitante Rechnung vom Kaufhaus Bloomingdale's, wo jemand auf seinen Namen im größeren Stil Luxuswaren erstanden hatte; als er anrief, den Irrtum zu korrigieren, schallte es ihm froh entgegen: „Oh, Mr. Roth, wir dachten, Sie sind in einer Irrenanstalt!“

„Why all that dirt, all that shmutz?“

Zur selben Zeit begann die gespenstische Kampagne gegen den Nestbeschmutzer Roth. Deren Folgen muß man in jedem Buch mitlesen, aber noch nie ging es so offen um Roths Loyalität wie hier, in „Operation Shylock“. „Why all that dirt, all that shmutz? Wie können Sie sowas über Ihre Mutter schreiben?“ wollten Leser nach der Lektüre von „Portnoy“ wissen. „Sie Antisemit, Sie Perversling, wir Juden sind nicht so, das wissen Sie genau!“ Ein New Yorker Rabbiner schrieb an seinen Verlag, mittelalterliche Juden hätten noch gewußt, wie man mit so einem fertig wird. Flugs war das Wort gefunden, das ihm dann wie ein alter Kaugummi für Jahre unter den Sohlen kleben sollte: „Jüdischer Selbsthaß“ hieß die Diagnose, inhalierter Antisemitismus war die Krankheit, glücklose Assimilation die Ursache. Den wilden Cornell- Professor Sander L. Gilman, der seit gut zehn Jahren als die komparatistische Anstalt in Sachen „jüdischer Selbsthaß“ gilt und dessen Aufsätze zum Thema nun auch in deutscher Übersetzung vorliegen, hat Roth in „Operation Shylock“ sogar auftreten lassen – ein Verismo, der nicht zufällig an Woody Allens Promi-Garde in „Zelig“ erinnert. Gilman behauptet, der Selbsthaß sei das Ergebnis einer Introjektion des Vorwurfs, es gäbe eine verborgene Sprache der Juden, irgendetwas, das ihre Rede verrückt, anders, jüdisch mache, ein Mauscheln eben. Auch wenn Überzeugungen dieser Art nach Gilman, dessen Beweisführung oft mehr als kühn ist, schon im Mittelalter vorhanden waren, gewinnen sie natürlich vor allem mit der Assimilation an Gewicht. Gibt es etwas, das einen Juden auch dann noch „verrät“, wenn er denselben Anzug trägt, denselben Wein trinkt und dieselben Boss-Unterhosen besitzt wie sein katholischer Nachbar in Newark, New York? Gilman selbst bleibt die Antwort natürlich schuldig, weist lieber Sartre, Freud oder T.S. Elliot nach, daß sie dem Mythos aufgesessen sind.

Altruistische Impulse, sexuelles Verlangen

Roth aber hat gegen hitzige Vorwürfe wie kniffelige Analysen à la Gilman zwei Strategien parat: Die eine könnte man „Salingerism“, die andere „Mailerism“ nennen; sich total verbarrikadieren, zur Not nicht einmal mehr publizieren, oder alles zugeben und sogar noch einen draufsetzen. Auf die Diagnose des „Selbsthasses“ reagiert er mit der medizinischen Definition der Krankheit „Portnoy's Beschwerden“: „Eine Störung, in der sich stark empfundene ethische und altruistische Impulse in ständigem Krieg gegen heftiges sexuelles Verlangen, oft perverser Natur, befinden. (Spielvogel, 0.: The Puzzled Penis –).“

Als Bernhard Malamud und Jerzy Kosinksy die Welt noch in schweigende, asketische jüdische Opfer und verrohte, verhurte Gentiles ebneten, schoß Roths Alex gerade in Gedanken an seine blonde Leonore noch eine weitere Ladung Sperma in seine Socke, während die Mutter vor der Badezimmertür besorgt fragte, ob sie seinen Durchfall sehen dürfe.

Als jüdische Linksintellektuelle nach der gescheiterten Studentenrevolte anfingen, israelische Kibbuzim zu ihrem verlorenen Paradies zu erklären, ließ Roth seinen Nathan Zuckerman in Tel Aviv von einer übermächtigen israelischen Zynikerin zur Minna machen. (Nathans Bruder Henry allerdings wurde Siedler, und religiös dazu.)

Der Autor, eine unter vielen Stimmen

Diesmal ist Israel nur nebenbei Schauplatz einer Sexual-Burleske. Wichtiger ist, daß es plötzlich zu einem Nachkriegsschauplatz wird, auf dem die Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Juden auch die jüdisch-palästinensischen Auseinandersetzungen noch bestimmt. Der Spruch „No Business Like Shoah-Business“, vorgetragen übrigens von einem in Amerika ausgebildeten palästinensischen Freund, füllt heute bei Roth die Lücke, die genüßlich ausgebreitete sexuelle Eskapaden von einst hinterlassen haben. Heute könnte man mit solchen Exzessen nicht einmal Rabbi Seligman mehr hinter Ofen hervorlocken. Heute, und das ist schön, läßt Roth eben auch andere zu Wort kommen: Den hierzulande unverständlicherweise fast unbekannten Schriftsteller Aaron Appelfeld zum Beispiel, der neben Primo Levi wohl die klarsten literarischen Beschreibungen der Shoah und der Zeit danach geschrieben hat, oder seinen Cousin Apter eben, der als Kind in SS-Bordellen lebte. Aus der Kakophonie von Stimmen ist Roth kaum noch herauszuhören. Katholiken werden seine Strategie kennen: Am geheimsten bleibt der, der alles sagt.

Philip Roth: „Operation Shylock. Ein Bekenntnis“. Aus dem Englischen wie immer ordentlich übersetzt von Jörg Trobitius, Carl Hanser Verlag, 456 Seiten, 45 DM.

Sander L.Gilman: „Jüdischer Selbsthaß. Antisemitismus und die verborgene Sprache der Juden“. Herausragende Übersetzung aus dem Englischen von Isabella König, Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 356 Seiten, 36 DM.

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