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Bumstutfesselfisselhepp

„Im Turm zu Babel“ – Sprach- und Bewegungstheater im Ballhaus Naunynstraße  ■ Von Thorsten Schmitz

Andreas Müller, Bettina Mainz, Birgit Aßhof, Boris Jaeger, Claudia Kratzheller und Horst Bräutigam sprechen anderthalb Stunden lang. Und niemand versteht sie. Nur sie sich selbst, wenn überhaupt.

Sie haben Wörter erfunden. Mal klingen sie vertraut, mal einfach nur komisch. Sechs sprachbegabte Tänzerinnen und Tänzer zucken und rappen. Sie schweben und hocken, rennen und stehen kerzengerade da und tun so, als lernten sie laufen und sich verhalten. Ein bißchen Technotempel, ein bißchen Pina Bausch, ein bißchen Eurhythmie. Zuallererst aber sind sie Sprachvirtuosen, Akrobaten der Kommunikation, Erfinder wohlklingender Laute. Offenbar verstehen sie sich prächtig. Nur das Publikum bleibt außen vor. Es belauscht etwas Geheimnisvolles und betrachtet Rätselhaftes: Bewegung und Licht. Und was für ein Licht! Blaue und orangefarbene und weiße Hintergründe. Schattenspiele. Scherenschnitte.

Ein bißchen Geisterbahn zu Beginn. Man sieht nichts, hört murmelnde Stimmen. Sie werden lauter, trübe Taschenlampen lassen schemenhafte Beine und Arme erkennen. Sie wellen wie Korallenarme im Meer. Ein Gewusel. Wir befinden uns „Im Turm zu Babel“. So heißt das Stück von Eckart Nebel, das Lole Gessler im Ballhaus Naunynstraße inszeniert hat. Babylon, die Stadt am Euphrat, in der sich die Menschen erdreisteten, einen Turm in den Himmel zu errichten, worüber Gott erzürnt war und deshalb Blitz und Donner entsandte und jedem eine andere Sprache gab, Babylon ist hier noch ziemlich schlicht. Der Boden dreieckig, gewölbt wie ein Rochenrücken, die Wände zwei Tuchtafeln wie Schiffssegel.

Man könnte eintauchen in kunstvolle Fremdsprache und Bewegung, in Mimik und Tanz, in Zucken und Verrenkungen, in angedeutete Slapsticks und scharf gezeichnete Bilder. Eines der schönsten: Die drei Frauen sitzen auf dem Boden, positioniert im Dreieck. Sie quatschen, und wir verstehen nichts. Sie rollen ihre Augen, kichern kurz auf, tun entsetzt, sticheln einander, schlagen die Beine mit aller Macht übereinander. Sie tratschen und lästern und hetzen und machen sich lustig und was vor. Was wohl zählt: Was eine tut oder was eine sagt?

Choreographierte Prosa auch die drei Männer. Sie stehen gleichgültig da, bemühen sich, so zu tun, als interessierten sie sich nicht füreinander. Polieren Fingernägel am Leinenoverall, betrachten ihre Füße, rücken den Sitz der Unterhose zurecht. Und wenn einer den anderen mal kurz anblickt und der den Blick erhascht, guckt der andere ruckzuck weg. Als wär' nichts. Wer kennt das Spiel nicht. Irgendwann sagt einer was, ein anderer plappert nach, fügt was hinzu. Und wie eine Maschine, die nicht mehr zu stoppen ist, fabriziert das gockelhaft-eitle Trio Banal ein Ungetüm von Wort: Sulbotgalaschmockbumstutfesselfisselhepp.

Vielleicht geht es um Reden und Sich-nicht-Verstehen, um Fremdsein und Geliebt-werden- Wollen, um Befehlen und Nicht- gehorchen-Können, um Ichsein und Nichtanpassen. Ganz im ungewissen wollen Eckart Nebel und Lole Gessler das Publikum indes nicht lassen. Denn ab und zu, wie um dem Ganzen einen Sinn zu geben, sprechen eine Frau und ein Mann aus dem Off einen Text (Wilma Eisbrüggens „debabelizer“). Schöne Stimmen haben sie, der Mann und die Frau. Aber erstens intonieren sie die Sätze wie Steinbrüche, gewichtig und versteinert. Und zweitens sprechen sie deutsch. Das will man gar nicht hören.

So stehlen sie der Seltsamkeit die Schau. Das Mystische und das Sinnliche verpuffen. Und das Oberlehrerhafte, das so viele Off- Theaterproduktionen kennzeichnet, übertüncht die Bilder. Zurück bleibt die Erinnerung an lichte Momente und, nach so viel Bewegung kein Wunder, der Geruch von Turnhalle, Doppelstunde Sport.

Heute bis 14. 2., 18.–22. 2., 20 Uhr, Ballhaus Naunynstraße, Naunynstraße 27, Kreuzberg.

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