piwik no script img

Beitrittskür mit Bauernopfer

■ EU wird durch neue Mitglieder nicht nur größer

Brüssel (taz) – Die verblüffende Eröffnung machte schlagartig klar, wo es in der Europäischen Union langgehen wird. Die vier Beitrittskandidaten, verlangte der spanische Außenminister im Dezember, dürften auch als EU-Mitglieder nicht gleich bei den Kriterien für die Währungsunion mitgerechnet werden. Denn Finnland, Schweden, Norwegen und Österreich drücken mit ihren relativ gesunden Volkswirtschaften den EU-Durchschnitt bei Inflation, Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit. Ländern wie Spanien oder Portugal, so das Kalkül, werde dadurch die Teilnahme an der Währungsunion fast unmöglich gemacht.

Zwar hat der spanische Antrag wenig Chancen, aber er macht deutlich, wie sich die Gewichte in der Europäischen Union durch die anstehende Erweiterung verschieben werden. Die Union wird wohlhabender, freihändlerischer, vielleicht auch politischer und vor allem unübersichtlicher. Bereits heute neigt die Verwaltung der Europäischen Union mit ihren 17 Kommissaren an der Spitze zur Schwerfälligkeit. Nach dem Beitritt werden es 21 sein. Seit einiger Zeit wird deshalb darüber diskutiert, die Europäische Kommission auf zehn Köpfe zu reduzieren. Das würde bedeuten, daß die fünf großen Länder nur noch einen statt zwei Kommissare stellen und die auf elf angewachsenen kleinen Staaten sich nach dem Muster des UN-Sicherheitsrates auf den übrigen fünf Sitzen abwechseln.

Im Grunde dürfte das kein Problem sein, weil EU-Beamte einschließlich der Kommissare bei Amtsantritt unterschreiben, daß sie ihr Heimatland vergessen, alle Staaten gleich behandeln und sich nur noch der EU verpflichtet fühlen. Der Streit, der schon vor einiger Zeit hinter den Kulissen losbrach, läßt vermuten, daß es mit der Gleichbehandlung vielleicht doch nicht so weit her ist. Kleine Länder wie Dänemark fürchten, von den Großen über den Tisch gezogen zu werden. Und auch Spanien, das gerade erst einen zweiten Kommissar zugesprochen bekam, will auf diese Einflußmöglichkeit auf keinen Fall verzichten. Ob es um Subventionen für die Stahlindustrie oder um Maßnahmen gegen die Schweinepest geht, wenn es hart auf hart kommt, sehen sich die Kommissare meist doch als Statthalter der nationalen Regierungen, die sich Zugeständnisse nur bei Gegenleistungen abhandeln lassen. Beobachter von Kommissionssitzungen schwärmen gerne von der orientalischen Basar-Atmosphäre.

Noch komplizierter ist das Problem im Ministerrat, wo letztendlich alle wichtigen Entscheidungen fallen. Nach dem Beitritt der Neuen haben die fünf großen Staaten (Italien, Spanien, England, Frankreich und Deutschland) mit zusammen 300 Millionen Einwohnern gerade 48 Stimmen, vier weniger als die übrigen 11 Länder, in denen nur 70 Millionen Menschen leben. Zur Zeit wird deshalb intensiv um Prozentzahlen für qualifizierte Mehrheiten und Sperrminoritäten gestritten. Zu einer grundlegenden Reform der Institutionen konnten sich die zwölf Regierungen nicht mehr rechtzeitig aufraffen, zu groß waren die Meinungsunterschiede, und zu klein war das gegenseitige Vertrauen. Jetzt ist es erst einmal zu spät, weil die Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten auf der Geschäftsgrundlage der bisherigen Kräfteverteilung stattfinden, die man nicht einfach nachträglich verändern kann. Frühestens 1996 wird über das Thema wieder gestritten werden, dann allerdings mit sechzehn Regierungen.

Aber es gibt Hoffnung, daß die Reform dann unter dem Leidensdruck der erlebten Umständlichkeit leichter zu bewerkstelligen sein wird. Zudem dämmert den meisten Regierungen, daß sich die Konflikte künftig noch weniger als bisher zwischen den Großen und den Kleinen abspielen werden. Europas innere Grenzen verlaufen zwischen Nord und Süd, zwischen Protektionisten und Freihändlern, zwischen Nettozahlern und Empfängern, zwischen Weich- und Hartwährungsländern und zwischen denen, die in der Europäischen Union den Grundstein für eine postkommunistische Stabilisierung Gesamteuropas sehen oder jenen, die Brüssel nur unter rein melktechnischen Gesichtspunkten betrachten.

Wohin die vier Neuen bei der letzten Frage tendieren, beantwortet sich schon aus der Geographie. Mit Ausnahme von Schweden haben sie alle gemeinsame Grenzen mit ehemaligen Warschauer-Pakt- Staaten. Die vor allem von der deutschen Regierung forcierte Diskussion um eine engere Anbindung der mittel- und osteuropäischen Staaten an die EU mit dem Ziel, Gesamteuropa wirtschaftlich und politisch zu stabilisieren, wird nach dem Beitritt lauter werden. Nicht wenige in Bonn erhoffen sich auch eine Stärkung der politischen Union, die von der Mehrheit der bisherigen Partner nicht so recht geliebt und deshalb klein gehalten wird.

Vor allem die skandinavischen Länder verbinden mit der Europäischen Union mehr als nur wirtschaftliche Erwartungen. Oder, wie ein finnischer Diplomat mit Blick auf die 300 Kilometer lange finnisch-russische Grenze meinte: Wenn die EU eine gemeinsame Verteidigung hätte, dann würde Finnland selbst seine bisher so hoch gehaltene Neutralität dafür hergeben.

Mit wirtschaftlichen Erwartungen allein könnten die vier Regierungen den Beitritt zu Hause kaum rechtfertigen. Den freien Warenverkehr mit den EU-Staaten sichert ihnen seit Jahresbeginn bereits der Europäische Wirtschaftsraum. Und alle bisherigen Berechnungen deuten darauf hin, daß sie zu den Nettozahlern gehören werden. Beim Bruttosozialprodukt pro Kopf stehen die drei skandinavischen Länder auf den Plätzen vier bis sechs der Weltrangliste, Österreich ein paar Plätze dahinter.

Obwohl die Agrarsubventionen zu den zähesten Kapiteln der Aufnahmeverhandlungen gehören, werden die Neuen den strapazierten Agrarhaushalt nicht übermäßig belasten. Zwar zahlen sowohl Österreich wie die Skandinavier durchschnittlich mehr Staatsgelder an ihre Bauern als die EU mit ihrer vielkritisierten Agrarpolitik. Doch die Subventionen fließen nicht in eine großflächige Landwirtschaft mit riesigen Überschüssen, sondern überwiegend in kleine tapfere Betriebe in den Bergen oder unweit des Nordpols, die ohne staatliche Preisstützen sofort eingehen würden. Das Problem ist nun gerade, daß die Hochpreisprodukte aus solch ausgefallenen Anbaugebieten nicht unter EU-Förderung fallen. Der Kompromiß wird wohl darauf hinauslaufen, daß den Regierungen in Wien, Oslo und Helsinki eine Art arktische Grundrente erlaubt wird, damit die geförderten Bauern ihre Ware zu EU- Preisen anbieten können.

Mit kleinen Ausnahmen bringen die Neuen auch keine stark förderungswürdigen Regionen mit in die Union. Nur das Burgenland wird in jedem Fall zu den sogenannten Ziel-1-Gebieten gehören, eventuell noch einige Gegenden in Nordfinnland. Bonn und London machen sich in Brüssel sogar dafür stark, einen Sonderfonds für dünnbesiedelte Gebiete einzurichten, nur um Gebiete in Schweden fördern zu können, die sonst unter keine Förderung fallen. Dahinter steckt die Befürchtung, daß es der schwedischen Bevölkerung schwer zu vermitteln sein könnte, wenn ihr Land Milliarden in die EU-Töpfe einzahlt und nicht einmal ein paar Millionen zurückfließen.

Schon aufgrund ihrer hohen Exportabhängigkeit wird von den skandinavischen Ländern erwartet, daß sie in der EU die Fraktion der Freihändler stärken werden. Dies werde, so ein deutscher Beamter in Brüssel, auch durch die bisherigen Erfahrungen mit diesen Ländern in internationalen Wirtschaftsorganisationen wie OECD, Unctad oder Gatt bestätigt. Bei Österreich ist man sich da allerdings nicht mehr so sicher. Das zähe Feilschen Wiens bei den laufenden Beitrittsverhandlungen um Sonderregeln für die alpenländische Wirtschaft lasse stärkere protektionistische Neigungen erkennen, als man bisher vermutet habe.

Unverändert ausgewogen bleibt die Union bei den Königreichen und Fürstentümern. Zu den sechs blaublütigen Staatschefs kommen zwei weitere hinzu. Die EU bleibt also weiterhin zu 50 Prozent monarchistisch. Alois Berger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen