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Facts und Fiction

■ „Tigrero — Ein Film, der nie gemacht wurde“ von Mika Kaurismäki (Forum)

Sam Fuller ging es damals in erster Linie um einen Film über die grausame menschliche Natur:„'Tigrero' sollte mit einer Einstellung eines Alligatoren, der einen Vogel fängt, beginnen. Dann kommt ein Krokodil, das den Alligator angreift. Sie kämpfen miteinander, das Blut fließt in Strömen. Die Kamera folgt dem Blut, das sich im Wasser verteilt. Vom Blut werden zwei Piranhas angelockt, die beide Reptilien bis auf die Knochen auffressen. Dann kommt der Titel“.

Bei der Schilderung der Details kommt der Hollywood-Rebell Sam Fuller sichtlich ins Schwärmen. Wir auch. Weniger begeisternd klingt, was aus „Tigrero“ werden sollte: ein Film über tollkühne Burschen, die tollwütige Raubkatzen nur mit einer langen Eisenstange erlegen. Für die Besetzung seines existenzialistischen Dschungel-Desastermovies um menschliche Bindungen, die im Angesicht der Lebensgefahr brechen, hatte Fuller bereits John Wayne, Tyron Power und Ava Gardner verpflichtet. Doch die Versicherungssumme für das extravagente Filmunternehmen im Brasilianischen Dschungel wäre zu hoch gewesen, so daß das Ganze schließlich abgeblasen werden mußte.

Zurück blieben einige 16 Milimeter-Filmrollen, die Fuller 1954 bereits belichtet hatte. Dieses Material über den Indio-Stamm der Karajas drückte Fuller 1992 dem Aki-Bruder Mika Kaurismäki in die Hand: „Mach' was draus!“ Das hat er. „Tigrero — Ein Film, der nie gemacht wurde“, ist ein Film, der doch noch gedreht wurde. Aber anders. Statt eines schweißtreibenden Abenteuerstreifens sehen wir einen Dokumentarfilm, in dem Jim Jarmush als Interviewer mit Sam Fuller nach vierzig Jahren in den Dschungel zurückkehrt, um den Regisseur über seine damaligen Erlebnisse mit den Indios zu befragen, über die Hintergründe des Projekts und über das Filmen überhaupt. Während Fuller selbstironisch die Gesetze des Hollywood-Filmens seziert, packt er nebenbei seine Filmdosen aus, um sie den verdutzten Indios zu zeigen, die auf dem Dok-Material ihre Verwandten wiedererkennen.

Gekonnt kontrastiert Mika Kaurismäki die soziologischen Veränderungen des Indio-Lebensraumes mit kurzweiligen Gesprächen über das gestorbene Filmprojekt. Und wir erfahren einiges über Fullers unnachahmliche Art des Filmemachens aus erster Hand. Dies ist ebenso kurzweilig wie filmhistorisch interessant. So unglaublich das klingt: Kaurismäki gelingt es, zwischen behutsam-distanzierten Ethno-Studien und der Darstellung von Hintergründen des Filmgeschäfts zu changieren. Ein Dokumentarfilm über die Begegnung und die wechselseitige Durchdringung von Facts und Fiction ist daraus entstanden.

Zwei einzelne Filme wären hier langweilig gewesen. Die Mischung macht es. Manfred Riepe

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