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Der innere Feind im Rückenmark

■ New-wave-ästhetischer Identitäts-Pop: „Shiba“ von P'ing Ho (Forum)

Später Samuel Beckett made in Taiwan: „18“ ist ein Sinnsucherdrama, das ein wenig kryptisch Bilder vom Exil montiert und eigentlich eine ganz andere Geschichte erzählen will.

Da ist der namenlose Reisebüroangestellte aus Taipeh, der in einem verlassenen Fischerdorf Frau und Kind verläßt, um herauszufinden, was nach der Midlife-Crisis kommt; die schüchterne Schönheit aus dem Zigarettenladen, die ihren altgewordenen Mann nicht mehr liebt; der wunderliche Veteran mit seinem Trauma nach der Apokalypse, die er nie erlebt hat; der verbitterte Einsiedler, dem das Vertrauen in die Jugend verlorengegangen ist, und eine Bande von Politikern und Halunken, in deren Korruption sich die Krise der entwurzelten taiwanesischen Gesellschaft widerspiegelt. Die meiste Zeit aber wird gewürfelt, nach sehr seltsamen Regeln.

In China ist eine „18“ die höchstmögliche Punktzahl, die man bei einem Wurf mit vier Würfeln erreichen kann. Den alten Gewohnheiten des Mutterlandes zum Trotz wird auf Taiwan nur bis zur Zwölf gerechnet, doch auch diese Summe scheint unerreichbar. Der zufällig in der Provinz rastmachende Städter allerdings wirft auf Anhieb einen Vierer-Pasch — Anfängerglück oder höheres Schicksal? Die Dorfgemeinschaft jedenfalls ist von dem Neuling begeistert, man trinkt gemeinsam, teilt sich Zigaretten und würfelt so in den Tag hinein. Bereits nach der ersten durchzockten Nacht hat er seine Familie vergessen und will von jetzt an allein dem Wurfgeschick der Götter folgen. Die Spielsucht läßt ihn im Handstand laufen, den schwarzen Metallic- BMW vermacht er seiner Frau, später dann richtet er sich am Strand ein surreales Wohnzimmer samt Farbfernseher ein, zieht in Plastiksack und Asche umher und erhält auf dem selbsterwählten Eremiten-Trip einen Spitznamen: „Der Verrückte“. Nach Jahren der zivilisatorischen Ödnis hat er endlich ein Ziel vor Augen — den Sinn des Lebens finden und mindestens 20 mal hintereinander zwölf Punkte würfeln.

Während der Bürger verwildert, bahnen sich unter den Dörflern Konflikte an. Der Bürgermeister kämpft für ein sauberes Taiwan und macht doch gemeinsame Sache mit der Mafia, die von alten VR-Seilschaften geführt wird. Ein lustfeindlicher Pensioner vermutet hinter jedem Liebesspiel prokommunistische Verschwörungen und schneidet aus Angst vor der gelben Gefahr einem Bordellkunden die Kehle durch. Überhaupt ist spontaner Sex ein Anzeichen für unpatriotische Gefühle, so als säße der innere Feind im Rückenmark. Das Militär zumindest agiert wie ein kollektiv getrimmter Körperpanzer, was zu lustigen Situationen führt, etwa wenn der Verrückte nach einem flinken Geschlechtsakt mit der Kaufmannsfrau die paradierenden Soldaten tänzelnd anschwult.

Ganz ist P'ing Hos Gemenge aus new-wave-ästhetischem Identitäts-Pop und rousseauschen Weg- vom-Industrial-Depressionen nicht aufzulösen. Alle Monologe und Träume enden immer wieder am Würfeltisch. Außerdem werden so viele Momente aus Mythos und Realität des taiwanesischen Alltags angespielt, daß die Grenzen zwischen kulturellem Im- und Export verschwimmen. Auf Coca- Cola als Entfremdungssymbol könnten sich zwar alle Protagonisten bei Spargelsaftlimonade einigen, die rotchinesische Vergangenheit aber kommt eher bizarr als angeschwemmter Stahlhelm aus dem Meer zum Vorschein. Auf die Frage der Tochter, ob dies überhaupt ein Platz für Lebende sei, antwortet die Mutter schon zu Beginn mit einer barschen Gegenfrage: Was glaubst Du? Geister?

Vielleicht wollte P'ing Ho genau das sagen. Vielleicht. Harald Fricke

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