: "Das Schwein muß erledigt werden"
■ Um die Ehre der türkischen Familie wiederherzustellen, erschoß Cumu I. letzten August in einem Kreuzberger Eiscafe seinen Stiefvater Zeki K. / K. soll Cumus Tochter und Schwester mißbraucht haben
Cumu I. ist ein Typ, dem man sofort einen Gebrauchtwagen abkaufen würde. Er kam vor 20 Jahren aus der Türkei nach Berlin, war fleißig und strebsam und brachte es vom kleinen Angestellten in einem Spielautomatensalon zum Restaurantbesitzer im Nobelviertel Nicolassee. Cumu I., 33, ist stolz darauf, nie mit den Behörden in Konflikt gekommen zu sein und eine Frau zu haben, die „sauber und ordentlich“ ist. Daß er in seinem Leben einmal vor einem Richter stehen würde, wäre ihm „nicht einmal im Traum eingefallen“.
Cumu I. sitzt seit gestern im Kriminalgericht Moabit auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, seinen 54jährigen Stiefvater Zeki K. erschossen zu haben. Er habe dies getan, um die „die Familienehre wiederherzustellen“. Der Stiefvater soll die Tochter und Schwester von Cumu I. sexuell mißbraucht haben. Die Tat geschah in den frühen Abendstunden des 7. August 1993 im „Deutsch-Türkischen Eiscafé“ in der Wrangelstraße in Kreuzberg. Der Stiefvater spielte dort häufig Karten.
Als Cumu I. gestern aus der Untersuchungshaft in den Gerichtssal geführt wurde, trug er einen dezenten grauen Anzug. Wangen und Kinn rasiert, das kurze schwarze Haar gepflegt. Cumu I. redete gestern dreieinhalb Stunden lang. Er erzählte sein ganzes Leben und wurde dabei mehrere Male von Tränen übermannt. Das Gericht wartete schweigend, bis er sich wieder gefangen hatte.
Cumu I. begann mit seiner Erzählung im Jahr 1969. Damals hatte sich seine Mutter entschlossen, nach Deutschland zu immigrieren. Der Vater wollte mit, bekam aber keine Arbeitserlaubnis, weil er schwer krank war. Für Cumu I. und seine beiden jüngeren Geschwister sorgten Oma und Tante. Irgendwann bekam die Familie heraus, daß die Mutter in Deutschland einen Mann kennengelernt hatte. „Ich war sehr enttäuscht darüber und habe mir überlegt, daß ich auf sie spucken werde, wenn ich sie sehe“, sagte Cumu I. gestern vor Gericht. 1972 starb der Vater. Der zwölfjährige Cumu mußte ihm am Totenbett versprechen, auf seine Schwester und seinen Bruder aufzupassen. Bald darauf holte die Mutter den ältesten Sohn nach Berlin. Er spuckte nicht auf sie, aber er sträubte sich zunächst heftig dagegen, „in diesem Land zu bleiben“, das die Mutter so verändert hatte.
Bald kamen auch der Bruder Kenan und die Schwester Dudu in die Stadt an der Spree. 1979 heiratete Cumu I., und seine Frau brachte bald die erste Tochter zur Welt. Der junge Mann arbeitete hart für den Unterhalt der kleinen Familie in einem Spielautomatensalon. „Es war sehr anstrengend, bisweilen habe ich nur zwei bis drei Stunden geschlafen“, berichtete er.
Wann genau er erfuhr, daß der Stiefvater seine Tochter sexuell mißbraucht hatte, blieb gestern unklar. Cumu I. sagte, seine Frau habe ihn unterrichtet. Der Stiefvater hätte ihr gegenüber zugegeben, „daß er an unserer Tochter rumgefummelt hat“. Kurz darauf habe auch seine Schwester Dudu zitternd gestanden, daß sich der Stiefvater lange Zeit an ihr vergangen habe. Cumu I. stellte den Stiefvater zur Rede, doch dieser bestritt die Vorwürfe vehement. Die Brüder Cumu und Kenan I. sannen auf Rache. Sie seien sich einig gewesen, daß „das Schwein erledigt werden müsse“, sagte Cumu I. Die Frage war jedoch, wer.
Bis zur Tat im Eiscafé verstrichen noch sieben Monate. Vor Gericht bestritt Cumu I. gestern allerdings vehement, daß er den Stiefvater töten wollte, als er das Lokal aufsuchte. Er habe sich von dem 54jährigen Zeki K. durch eine Handbewegung bedroht gefühlt. Daran, daß er seine Pistole gezogen habe, könne er sich nicht erinnern. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß der Angeklagte die anderen Gäste aufforderte, das Café zu verlassen, bevor er den von ihm als „Frauenschänder“ bezeichneten Mann mit sechs Schüssen niederstreckte.
Der Prozeß wird Donnerstag fortgesetzt. Plutonia Plarre
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