: Anklage: Beihilfe zum Völkermord
Zum ersten Mal muß sich ein serbischer Kriegsverbrecher wegen Beihilfe zum Völkermord vor einem deutschen Gericht verantworten. Der 28jährige Angeklagte soll mehr als 150 Gefangene mißhandelt und andere zum Töten aufgefordert haben.
Der Serbe Drusko Tadic ist weltweit die erste Person überhaupt, die seit Beginn der Kriege in Ex-Jugoslawien Ende Juni 1991 (Angriff Serbiens auf Slowenien) unter dem Vorwurf von Kriegsverbrechen festgenommen wurde. Das ist zumindest der Informationsstand der in Genf ansässigen Völkerrechtskommission, die seit November 1992 im Auftrag des UNO-Sicherheitsrates Informationen, Zeugenaussagen und Beweise über Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien sammelt (seit Mai 93 auch mit Blick auf das inzwischen eingerichtete Kriegsverbrecher- Tribunal in Den Haag). Unklar ist bislang, warum die Festnahme Tadics erst jetzt erfolgte.
Die zahlreichen Aussagen von ZeugInnen und Opfern, auf deren Basis die Bundesanwaltschaft ihren Verdacht der Beihilfe zum Völkermord, des Mordes und der gefährlichen Körperverletzung formuliert hat, beziehen sich auf Handlungen Tadics im serbischen Todeslager Omarska und anderen Lagern bis zum Sommer 1992. Der Genfer UNO-Kommission waren die zahlreichen Zeugenaussagen gegen Tadic jedenfalls schon seit Monaten bekannt.
Haben die deutschen Ermittlungsbörden erst begonnen, sich um den Fall zu kümmern, als ihnen bekannt wurde, daß ein Fernsehteam des Südwestfunks Belastungszeugen gegen Tadic interviewte? Oder ermittelten die Behörden schon seit längerer Zeit und erhielten von dem Fersehteam lediglich den entscheidenden Tip auf den Aufenthaltsort Tadics in München?
Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, bleibt der Verdacht, daß die spektakuläre Festnahme Tadics nicht zufällig in den Tagen vor Ablauf des Nato-Ultimatums aus Sarajevo erfolgte. Zusammen mit der Verlegung zusätzlicher Kriegsschiffe in die Adria oder dem fernsehgerecht inszenierten Abzug der Verwandten ausländischer Diplomaten aus Belgrad könnte die Festnahme als weiteres Signal an Serbien gemeint sein, daß es der Westen ernst meint.
Die bisherigen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zur Verfolgung von Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien zeichneten sich bislang durch auffällige Zurückhaltung aus. Es fehlt der politische Wille, gerade auch gegen die serbischen Haupttäter, deren Vorgesetzte und insbesondere die politisch Verantwortlichen wie den bosnischen Serbenführer Karadžić oder Serbiens Präsident Milošević entschlossen zu ermitteln. Die bisher mit der Sicherung, Sammlung und Sichtung von Zeugenaussagen und Beweisen beauftragte Genfer Kommission wurde vor allem von Deutschland und den anderen EU- Staaten finanziell und damit personell so knapp gehalten, daß sie der ihr gestellten Aufgabe kaum nachkommen konnte.
Es muß davon ausgegangen werden, daß inzwischen zahlreiche Beweise vernichtet wurden und Täter auf Nimmerwiedersehen untertauchen konnten. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand dürfte es zudem immer schwieriger werden, aussagefähige und -bereite Opfer und ZeugInnen aufzutreiben, gerade auch von Vergewaltigungen. Trotz dieser Erschwernisse und Verschleppungen liegt eine Fülle von beweiskräftigem Material vor – zumeist beigebracht von nichtstaatlichen Menschenrechts- und Frauenorganisationen –, das die Formulierung von Anklagen gegen einige hundert Täter ermöglichen würde.
Besonders gut ist die Beweislage hinsichtlich des serbischen Todeslagers Omarska, in dem auch Dusko Tadic laut den ihn belastenden Zeugenaussagen als Mörder und Folterer tätig war. Bundesdeutsche Behörden ermitteln nach Angaben der Bundesanwaltschaft inzwischen in einer Reihe von Fällen. Nach gültiger Rechtslage kann Tadic wegen der ihm vorgeworfenen Taten sowohl vor ein deutsches Gericht, wie vor das Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag gestellt werden. Letzteres forderte gestern der bayerische Sozialminister Glück (CSU).
Wann vor dem Haager Tribunal allerdings die eigentlich für April vorgesehenen ersten Verfahren stattfinden, ist völlig offen, nachdem der vom UNO-Sicherheitsrat bestellte Ankläger letzte Woche seinen Auftrag zurückgegeben hat. Über seine Bestellung hatte es einen mehrmonatigen Streit im Sicherheitsrat gegeben – ein Szenario, daß sich jetzt möglicherweise wiederholt.
In der Genfer Kommission wird befürchtet, daß, ob vor nationalen Gerichten oder vor dem Haager Tribunal, lediglich Verfahren gegen mutmaßliche direkte Täter wie Tadic stattfinden werden, nicht aber gegen ihre militärischen Befehlsgeber oder die politisch für die Kriegsverbrechen Verantwortlichen. Um etwa den bosnischen Serbenführer Karadžić wegen der Verbrechen anzuklagen und zu verurteilen, wegen derer jetzt Tadic in München festgenommen wurde, bedarf es des Nachweises, daß Karadžić Oberkommandierender der Streitkräfte der bosnischen Serben ist, so wie zum Beispiel Präsident Clinton in den USA oder auch Saddam Hussein im Irak. Dasselbe gilt für die Zivilklage, die vier Frauen vor einem New Yorker Gericht gegen Karadžić angestrengt haben wegen der durch bosnisch-serbische Soldaten begangenen Massenvergewaltigungen vor allem an muslimischen Frauen. Um diese Taten unter der Kategorie Kriegsverbrechen abzuhandeln, bedarf es wiederum des Nachweises, daß sie systematisch und auf Befehl geschahen. Für alle Fälle hat sich Karadžić schon einmal eines hervorragenden, international renommierten Anwaltes versichert, wie ihn sein Landsmann Tadic wahrscheinlich weder vor einem deutschen Gericht noch vor dem Tribunal in Den Haag erhalten wird. Die Verteidigung des bosnischen Serbenführers hat im Dezember der ehemalige US-Justizminister Ramsey Clark übernommen – unter anderem bekannt als ehemaliger Rechtsberater von PLO-Chef Arafat und schärfster Kritiker der Golfkriegspolitik von Bill Clintons Vorgänger George Bush, gegen den Clark seinerzeit ein Impeachment-Verfahren anstrengte. Clarks Übernahme der Verteidigung des Serbenführers Karadžić hat möglicherweise dazu geführt, daß die US-Regierung inzwischen einen direkten, inoffiziellen Draht zu dem bosnischen Serbenführer hat. Clark ist einer der engsten Freunde von US-Außenminister Christopher. Andreas Zumach, Genf
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