: Schönberg: Alles Lüge
■ Lübeck fordert die Schließung der Sondermülldeponie / Gutachten belegt Trinkwassergefährdung / Hamburg droht Müllnotstand Von Marco Carini
AllesLüge: Eine neue, von der Lübecker Umweltsenatorin gestern veröffentlichte Studie über die Gefährdung des Lübecker Trinkwassers durch die Mülldeponie Schönberg entlarvt alle bisherigen Erkenntnisse als DDR-Propaganda. Die Behauptung, die Deponie sei für das Trinkwasser der Stadt ungefährlich, „kann nicht mehr ohne weiteres aufrechterhalten“ werden, so der Befund der Lübecker Umweltsenatorin Maria Krautzberger. Entschlossen setzt sie noch einen drauf: „Solange die Unbedenklichkeit der Deponie nicht nachgewiesen ist, besteht die Hansestadt Lübeck auf deren Schließung“ (siehe nebenstehendes Interview).
Das von dem Berliner Professor Asaf Pekdeger erstellte Gutachten kommt zu dem Schluß, daß wegen „bautechnischer Fehlplanungen mit nicht kontrollierbaren Sickerwasseraustritten gerechnet werden muß“. Außerdem leitet sich nach Auffassung der Lübecker Umweltsenatorin aus der Expertise die Befürchtung ab, „daß die Deponie im Einzugsgebiet der Lübecker Wasserwerke liegt“. Um das zu überprüfen, ist laut Pekdeger ein Untersuchungsprogramm vonnöten, das vier Jahre dauern und 9,5 Millionen Mark kosten würde.
Für Umweltsenatorin Krautzberger, die bereits Bundesumweltminister Klaus Töpfer über die neuen Erkenntnisse unterrichtet hat, ist „die Durchführung dieser Maßnahmen zwingend notwendig“. Töpfer betonte in einer ersten Stellungnahme dazu, er habe „zu keiner Zeit eine Sicherheitsgarantie für Schönberg abgegeben“. Allerdings habe eine länderübergreifende Arbeitsgruppe festgestellt, daß eine Gefährdung des Trinkwassers für Schleswig-Holstein durch die Deponie nicht auftreten könne.
Diese Analyse aber bezog sich auf eine DDR-Studie, die nach übereinstimmenden Informationen der Lübecker Umweltsenatorin und des NDR sorgsam manipuliert worden war, um den Westen hinters Licht zu führen. Während das im Auftrag des DDR-Ministeriums für Geologie erstellte Orginal des sogenannten Löffler/Krüger-Gutachtens über die Grundwassergefährdung durch die Deponie unter Verschluß gehalten wurde, ließ das Ministerium, wie in dieser Woche bekannt wurde, eine West-Variante der Studie erstellen. Gegenüber den Autoren gab das Ministerium die Direktive aus, eine „positive Bewertung im Hinblick auf den Umweltschutz und die geologischen sowie hydrologischen Gegebenheiten“ zu formulieren. Während aus dem Ost-Original sich keine Rückschlüsse auf die Sicherheit der Deponie ableiten lassen, attestiert die West-Variante der Müllkippe Unbedenklichkeit.
Der Schwindel-Plan ging auf, die bundesdeutschen Abfall-Experten, auf den „Entsorgungspark“ Schönberg angewiesen, machten sich die manipulierten Ergebnisse nur allzu bereitwillig zu eigen. So kam die von Töpfer jetzt als Kronzeuge bemühte „Länderarbeitsgemeinschaft Abfall“ nach Lektüre der frisierten Studie im November 1988 zu dem Ergebnis: „Aufgrund der vorliegenden Daten kann ausgeschlossen werden, daß der Stadt Lübeck der Nachweis einer Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit gelingt“. Schönberg galt fortan als sicher.
Setzt sich die Lübecker Umweltsenatorin mit ihrer Schließungs-Forderung tatsächlich durch, droht Hamburg der Müll- Notstand. Noch Mittwoch hatte Umweltsenator Fritz Vahrenholt im Wilhelmsburger Bürgerhaus bei der Diskussion um die geplante Müllverbrennungsanlage Neuhof betont: „Wenn Schönberg plötzlich dicht macht, wissen wir nicht, wohin mit dem Müll“.
1992, als die Deponie drei Tage geschlossen blieb, hatte der Senat im geheimen beschlossen, nach sechs Tagen den Abtransport des Gewerbeabfalls einzustellen, vier Tage später dann den Hausmüll nicht mehr abholen zu lassen. Zwar verfügt die Hansestadt seit 1993 über ein genehmigtes Müll-Zwischenlager im Sandauhafen, das 30.000 Tonnen Abfall aufnehmen kann. Doch vertragliche Zusicherungen anderer Bundesländer, im Notfall den Hamburger Müll aufzunehmen, gibt es nach Auskunft der Umweltbehörde nicht.
„Das Zwischenlager reicht für genau zwei Wochen, vorausgesetzt alle Hamburger Müllverbrennungsanlagen funktionieren optimal“, erklärt Ina Heidemann, die Sprecherin der Umweltbehörde. Streikt aber eine Verbrennungslinie, so würde die Kapazität nur „5 bis 6 Tage reichen“, nach vierzehn Tagen wäre der Müll-Notstand unabwendbar. Ina Heidemann: „Dann ist es vorbei“.
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