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Raum zwischen den Welten

■ Die "Putte", das älteste ImmigrantInnenprojekt der Stadt, hilft ausländischen Jugendlichen bei der Identitätssuche zwischen den Kulturen der Welt

Menschen, die zwischen zwei Kulturen leben, brauchen Spielräume. Spielräume, um eine Identität zu finden. Bilal ist noch auf der Suche danach.

Er kam vor sieben Jahren gemeinsam mit seiner Familie aus der Türkei nach Berlin. Damals war er zehn Jahre alt. Seit Bilals Vater tot ist, bestimmen seine beiden älteren Brüder über sein Leben. Ihre Vorstellungen, geprägt von türkischen Traditionen, unterscheiden sich von Bilals Wünschen. Er wächst zwischen zwei Welten auf: der türkischen Welt zu Hause und der deutschen Welt, die er durch Schule, Fernsehen und Freunde kennenlernt.

Bilals Brüder wollen, daß er arbeiten geht. Er soll Geld verdienen für die Rückkehr in die Türkei. Bilal hingegen will eine Ausbildung zum Schlosser machen. Aus Trotz macht er jetzt gar nichts. Wie seine Zukunft aussehen soll, weiß er noch nicht. Raum für Gespräche mit Gleichaltrigen, die ähnliche Probleme haben, findet er im Jugendladen der Putte in Wedding. Dort spielt er Fußball, Theater und tanzt in der Folkloregruppe.

Die Putte ist Berlins ältestes ImmigrantInnenprojekt. Die elf BetreuerInnen (fünf von ihnen sind Deutsche) arbeiten jedoch nicht nur mit AusländerInnen. Deutsche Kinder und Jugendliche sind erwünscht.

In der Vorschule der Putte sind zwei Drittel Türken, Kurden, Pakistanis oder Palästinenser und ein Drittel Deutsche. „Die Kinder sollen von klein auf mit fremden Sprachen im Ohr aufwachsen und sich so an das Leben mit anderen Nationalitäten gewöhnen“, sagt der Betreuer Hannes Rieger. Diese Idee wird im Schülerladen und danach im Jugendladen fortgesetzt. Mädchen und Frauen können in eigenen Gruppen arbeiten.

Bis die Kinder in die Pubertät kommen, ist eine gemischte Erziehung von Deutschen und Ausländern kein Problem. Im Jugendladen sieht man jedoch fast keine Deutschen mehr. „Wir können eine Mischung nicht erzwingen“, sagt Rieger.

Bilal hat eine deutsche Freundin. Kontakte zwischen AusländerInnen und Deutschen bestehen oft nur zwischen Jungen und Mädchen. „Es gibt viele türkische Jungen, die eine deutsche Freundin haben. Die Jungen wollen mit ihren Freundinnen auch ausgehen, und das ist bei türkischen Mädchen oft nicht möglich, weil sie zu Hause bleiben müssen“, sagt Aydan, die gerade ein Praktikum bei der Putte macht. Den türkischen Mädchen, die das Haus nur selten verlassen dürfen, soll die Mädchengruppe der Putte einen kleinen Freiraum bieten. Damit die Mädchen überhaupt kommen dürfen, geben die BetreuerInnen den Mädchen Handarbeits- und Schreibmaschinenunterricht. „Das beruhigt die Eltern. Sind die Mädchen erst einmal hier, können sie untereinander und mit den BetreuerInnen über Dinge reden, die zu Hause nie zur Sprache kommen“, sagt Hannes Rieger. Die Mädchen wollen, wie die deutschen Mädchen, ins Kino oder ins Theater gehen. Diese Möglichkeit haben sie nur durch die Mädchengruppe der Putte.

Die traditionellen Rollen auflösen

Traditionelle Geschlechterrollen werden durch die gemeinsame Erziehung von deutschen und ausländischen Kindern aufgeweicht. Nicht immer ohne den Widerstand der ausländischen Eltern. In der islamischen Familie wird der kleine Sohn zum Pascha erzogen. Im Schülerladen der Putte muß er jedoch ebenso wie die Mädchen kochen und abwaschen. Bei den Jugendlichen könne das einen Umdenkungsprozeß auslösen, meint Cafer, 24 Jahre alt: „Früher war für mich klar, daß mir meine Schwester den Tee bringen muß, wenn ich sitze. Irgendwann wurde mir jedoch klar, daß sie genauso ein Mensch ist wie ich und ich mir meinen Tee auch selber holen kann.“ Annabel Wahba

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