: „Die Kinder bleiben hier in Algerien“
■ Prozeß um Kindesentziehung: Algerischer Vater zu zwei Jahren Haft verurteilt / Rund 150 Fälle jährlich in der BRD
Den Tag, an dem sie mit ihrer Familie nach Algerien gefahren ist, wird die 37jährige Berlinerin Gabriele G. ihr Leben lang verfluchen. Wenige Stunden nach der Ankunft eröffnete ihr der algerische Ehemann Manaf G., daß die beiden gemeinsamen Kinder nicht mehr nach Deutschland zurückkehren würden. „Sie bleiben hier, da kannst du machen, was du willst. Hier bin ich der Herr.“ Inzwischen ist ein dreiviertel Jahr vergangen, und die siebenjährige Salima und der vierjährige Abdel-Hamid befinden sich immer noch bei einer Tante im algerischen Constantine. Der unterdessen nach Berlin zurückgekehrte Vater wurde gestern vom Landgericht wegen Kindesentziehung zu zwei Jahren Haft verurteilt. Der Mann hatte im Prozeß mehrfach betont, daß ihn auch eine Gefängnisstrafe nicht dazu bringen werde, seine Kinder wieder nach Berlin zu holen.
Dem Auswärtigen Amt sind zur Zeit rund 150 ähnliche Fälle bekannt, in denen mit deutschen Partnern verheiratete Ausländer die gemeinsamen Kinder in die Heimat brachten und somit dem Zugriff des anderen Elternteils entzogen. Gemessen daran, daß in der Bundesrepublik an die 50.000 Paare eine binationale Ehe führen, sind die 150 Fälle sicherlich keine bedrohliche Zahl. Wie eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes mitteilte, handelt es sich bei diesen „Kindesentziehern“ in der Mehrheit um Väter, die in islamischen Länder zu Hause sind. Nach dem Rechtssystem des Korans habe der Mann das Sorgerecht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind. Wenn es dem Vater gelungen sei, den Sohn oder die Tochter in seine Heimat zu bringen, seien der Bundesrepublik die Hände gebunden. Das Auswärtige Amt lasse auf dem konsularischen Wege zwar nichts unversucht, könne aber nichts machen, wenn das andere Land auf seiner gegenteiligen Rechtsauffassung bestehe. Einfacher sei es mit Staaten, die das sogenannte „Haager Übereinkommen“ unterzeichnet hätten. Es besagt, daß im Fall einer Kindesentziehung auf rechtsstaatlichem Wege geklärt wird, welcher Partner das Sorgerecht bekomme. Unterzeichnet haben sämtliche westlichen Länder.
Die Vorsitzende des Verbandes „Binationaler Familien und Partnerschaften“ in Berlin, Viktoria Lokau, betonte gegenüber der taz, daß binationale Partner bei einer Trennung nicht anders um ihr Kind stritten als deutsche. Binationale Paare hätten jedoch sehr häufig mit der Angst zu kämpfen, daß der ausländische Partner das Kind mit in die Heimat nehmen wolle. So eine Überlegung sei naheliegend, wenn eine Beziehung in die Brüche gegangen sei. Aber daß der ausländische Partner das Kind gegen den Willen des deutschen Elternteils in seine Heimat entführe, komme in der Praxis nur selten vor.
Der 41jährige Algerier Manaf G. hatte sein Handeln in dem gestrigen Prozeß damit erklärt, seine Frau Gabriele G. habe die Kinder häufig geschlagen. Außerdem habe sie ihm gedroht, ihn ohne Salima und Abdel-Hamid nach Hause zurückzuschicken. Zudem würden in Deutschland Unruhen herrschen, womit er die Ausländerfeindlichekit meinte. Die Kindesmutter Gabriele G. erklärte, sie habe die Kinder in Algerien zurücklassen müssen, weil der Mann die Ausweise und Tickets versteckt habe. Jetzt würde sie einmal in der Woche mit ihrer Tochter telefonieren. Die Kinder hätten sich bereits sehr von ihr entfremdet. Salima beschuldige sie, daß sie Papa ins Gefängnis gebracht habe. Der kleine Sohn, so habe sie erfahren, könne kaum noch Deutsch. In einer Prozeßpause versuchte sie nochmals ihren Mann zum Einlenken zu bewegen – vergebens.
Der Vorsitzende Richter bezeichnete es als Dilemma, daß das Gericht der Mutter nicht helfen könne. Nach dem Gesetz seiner Heimat fühle sich der Angeklagte im Recht. Wenn er bereit sei, seine Kinder zurückbringen zu lassen, werde sich die Kammer für eine vorzeitige Haftentlassung einsetzen. Plutonia Plarre
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