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Schamanen im Studio

Jamaikanisches Afrika, in London gemixt – nicht bloß ein weiteres Gewürz im Multikulti-Kuchen: African Head Charge auf Tournee  ■ Von Volker Marquardt

Afrika ist immer noch der Kontinent am Rande der Wahrnehmung. Wer, zumal im Staate Pop, weiß schon, welche Länder an Ghana grenzen? Und warum es dort Konflikte zwischen Muslimen und Christen gibt? Etwas Aufmerksamkeit erhielt das Land in der hiesigen Öffentlichkeit erst durch Tore und Tänze Anthony Yeboahs – und durch dessen verwackelte Homevideos aus trautem Familienkreis. „Jetzt schmiert sich der schwarze Bomber Schlangenpaste aufs Knie“, kommentierte der „Ran“-Anbiederer Reinhold Beckmann symptomatisch für das hiesige Exotik-Image.

Immerhin gab es popmusikalische Ansätze, den Kontinent zum Sprechen zu bringen, ihm eine Stimme zu geben – an den bestehenden Öffentlichkeiten vorbei. Aber Paul Simon oder David Byrne schmückten sich auch gern mit Ethno-Federn, setzten der Musik des weißen Mannes den Kopfschmuck eines afrikanischen Häuptlings auf – sie nutzten den Mythos vom Eingeborenen, um unsere Klischees zu bestätigen.

Nicht einmal so viel anders sieht das im afro-amerikanischen HipHop aus: Bands wie X-Clan behängen sich mit ägyptischen Amuletten und demonstrieren so ihre glorreiche „heritage“ – ein verständlicher Impuls zur Aneignung eines „Erbes“, der aber oft in einer pastoralen, mit Mystik angereicherten Idylle landet, Stichwort „Afrozentrismus“. Auch hier bekommt nicht Afrika eine Stimme, sondern urbane Black Americans erfinden sich eine Geschichte.

Anders bei African Headcharge, deren Deutschlandtournee gerade begonnen hat. „Afrika“ ist weniger Mythos als Material, es reichert den Sound nicht bloß an, sondern baut ihn von unten her auf. „Wir beginnen mit der Grundfeste“, beschreibt Bonjo Noah, Percussionist und spiritualised leader, die Arbeitsweise. Dann wird Schicht auf Schicht getragen, Stichwort „Dub“. „Später kommt Adrian und setzt das Dach.“

Gemeint ist Adrian Sherwood, seines Zeichens Label-Chef des „On U Sound“-Labels aus London, als Mixer Spezialist für langsam gedubbte Rhythmen. Mit zahlreichen Effektgeräten zieht der Europäer Sherwood die Bässe in die Tiefe hinab. Daß daraus kein bloßes Ethno-Zitat wird, dafür sorgen die ghanaischen Nyabinghi-Trommeln, auf die der Nigerianer Sonny Akpan seine Gitarren aufträgt. Durch das Ausblenden einzelner Tonspuren bleibt genügend Raum, um dazwischen immer wieder komplizierteste Rhythmen, Stammesgesänge, Löwengrollen und andere „vormoderne“ O-Töne zum Vorschein kommen zu lassen. Tradition meets Moderne also, nicht umgekehrt: Studiotechnik wirkt als Katalysator für schamanische Rituale, fixiert und verändert sie zugleich.

In diesem Willen zur Vermischung liegt auch der Grund dafür, daß African Head Charge musikalisch keinen (nunmehr afrikanischen) Afrozentrismus predigen. Ihre mittlerweile neunte Platte ist selbst das Produkt eines – allerdings nicht-hegemonialen – Kulturimport/Export-Unternehmens. „Ich war in Ghana, und viele der Songs, die ich für dieses Album geschrieben habe, handeln von den Erfahrungen, die ich dort gemacht habe“, beschreibt Bonjo, der eigentlich Jamaikaner ist, die Einflüsse auf „in Pursuit of Shashamane Land“. Allerdings ist dieser Einfluß nicht Produkt eines tatsächlichen „Ursprungs“, sondern immer schon Vermischung. In den Trommeln, die auf der Platte zu hören sind, klingen die Nyabinghi- Rhythmen nach, die – so will es die Legende – er bei seiner Großmutter zu hören bekam.

African Head Charge machen eine weitere, bisher kaum wahrgenommene Achse im Austausch der Stile wahrnehmbar – die zwischen Afrika und der Karibik. Auf dem Umweg über London kommt ein gedubbtes Afrika auf uns, das zwar fremd schmeckt, aber nicht bloß den Multikulti-Kuchen würzt.

Heute Hamburg, Fabrik; 19.2. Rostock, Mau-Club; 20.2. Köln, Kantine; 21.2. Dortmund, Live-Stadion; 22.2. Frankfurt, Negativ; 23.2. Stuttgart, Röhre; 24.2. München, Charterhalle.

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