: „Natürliche Barriere“
■ Polizist zu 1500 Mark Buße verurteilt, weil er junge Demonstrantin getreten hat
Es waren ausschließlich Frauen und Kinder, die sich am 8. Juni 1993 in Altona versammelten, um gegen die Mordanschläge von Solingen zu demonstrieren. Für die 25jährige türkische Studentin Nebahat G. endete dieser friedliche Protest mit Blessuren, weil der Polizeibeamte Herbert K. vom Revier 21 ihr zwei Tritte versetzte. Gestern mußte sich der Polizist vor dem Amtsgericht Altona veranworten.
Die Kinder- und Frauen-Demo hatte damals auf der Kreuzung Max-Brauer-Allee/Königstraße für eine kurze Zwischenkundgebung gestoppt. Nebahat setzte sich – wie andere Frauen auch – auf den warmen Asphalt. Hinter ihr bemerkte sie einen älteren Polizisten, der einem HHA-Bus Zeichen gab, doch langsam näher zu kommen. Nebahat: "Es war ganz offensichtlich, daß der Bus nicht durchkam, ohne mich zu streifen“. Sie war gerade im Begriff aufzustehen, als Herbert K. ihr zwei Tritte versetzte. Folge: Dicker Bluterguß am Bein und drei Tage Arbeitsunfähigkeit. „Ich hatte richtig Probleme zu gehen und mich um meine Tochter zu kümmern,“ so die Immigrantin.
Der 59jährige Polizist bestreitet den Vorfall zwar nicht, aber die Körperverletzung im Amt: „Ich habe meinen Fuß zwischen ihren Rücken und den Bus gestellt, als natürliche Barriere.“ Für ihn sei dies das „geringste Mittel“ gewesen, „Körperschaden fernzuhalten“. Daß er die Frau versehentlich getreten habe, habe er „nicht in Erinnerung“. Herbert K: „Wenn ich sie verletzt haben sollte, dann tut es mir leid“.
Doch der Vorfall war offenkundig kein Versehen: Mehrere Zeuginnen erklärten, daß Herbert K. vorsätzlich getreten habe, um dem Bus den Weg zu bahnen. Der Vorschlag des Staatsanwaltes zur Halbzeit des Prozesses: Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldbuße von 1000 Mark an den Verein „INCI – Informationszentrum für Kultur und Informationen für Frauen“, in dem Nebahat Mädchen und Frauen in Deutsch und Englisch unterrichtet. „Wenn sie noch 500 Mark Schmerzensgeld für Frau G. drauflegen, bin ich auch einverstanden“, so Amtsrichterin Gaßmann. Herbert K. willigte ein.
Nebahat äußerte sich zufrieden, daß der Fall nicht einfach unter den Tisch gekehrt worden ist. Und auch ihre dreijährige Tochter, die den Vorfall gesehen hatte, habe durch den Schock viel gelernt: „Meine Tochter hat jetzt ein ganz anderes Bild von Polizisten. Nämlich nicht, daß sie schützen, sondern daß sie Gewalt ausüben“, so die junge Mutter.
Und auch die Schulklasse, die das Verfahren verfolgte, hat wohl selten so anschaulichen Gesellschaftskunde-Unterricht bekommen, wie gestern im Saal 201 des Amtsgerichts.
Kai von Appen
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