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Notstand in den Kitas

■ Die SPD will mit einem "Tagesförderungsgesetz" Gruppengröße und Personalbedarf auf Dauer festschreiben

Wie viele Kitaplätze in Berlin fehlen, weiß keiner genau. Etwa 28.000, vermutet die SPD. Die Zahlen sind so vage, weil viele Eltern ihren Nachwuchs schon kurz nach der Geburt auf eine Warteliste setzen und aus Angst, nicht berücksichtigt zu werden, ihr Kind ein zweites und drittes Mal bei einer anderen Tagesstätte anmelden. Denn eines ist sicher: Den Notstand gibt es.

Und es würde ihn vermutlich noch sehr lange geben, wenn in diesem Jahr nicht eine Bundestagswahl stattfinden würde. So aber reißt sich die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus am Riemen und versucht, durch einen eigenen Gesetzentwurf zu Kitas, den von der Bundesregierung beschlossenen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab 1. Januar 1996 auf Berliner Ebene zu realisieren. Gestern legten sie den Entwurf „Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege“ der Öffentlichkeit vor. Danach soll jedes Kind vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt einen Anspruch auf einen Platz haben und Kinder unter drei Jahren, wenn sie aus pädagogischen oder familiären Gründen eine Förderung brauchen. „Auch wenn das Geld im Landeshaushalt knapp wird“, begründete die SPD- Abgeordnete Petra Merkel ihr Engagement, „ein Gesetz abzuschaffen ist viel schwieriger als die derzeit geltenden Ausführungsbestimmungen zu ändern.“ Der SPD- Entwurf, zu dem am 20. April eine öffentliche Anhörung stattfinden soll, regelt die Gruppengröße, den Personalbedarf, die Interessenvertretung der Eltern, die pädagogischen Grundsätze und die zukünftige Anmeldung über die bezirklichen Jugendämter. Merkel hofft, daß der Entwurf noch in diesem Jahr zum Gesetz wird.

Kritisch beäugen hingegen die bezirklichen Personalratsvertretungen den Entwurf. Rosemarie Treskow aus Kreuzberg findet ein Gesetz zwar besser als gar nichts, hätte sich aber viel lieber eine Neuauflage des in den achtziger Jahren abgeschafften „Kindertagesstättenentwicklungsplans“ gewünscht. „Der war durch eine fünfjährige Laufzeit viel flexiber.“ Sie kritisiert, daß der SPD-Entwurf auch die „Arbeitsmenge“ regele. „Das gehört in einen Tarifvertrag“, sagt sie, „doch nicht in ein Gesetz.“ Die ÖTV wird deshalb im März einen eigenen Entwurf zur Mindestausstattung von Kitas vorlegen. Problematisch findet sie auch den von der SPD vorgeschlagenen Personalschlüssel, nämlich 1,5 Fachkräfte pro Gruppe bei einer neunstündigen Betreuungszeit. Dieser Schlüssel gelte sei 1990. Praxis aber sei, daß der Senat durch seinen Einstellungsstopp diese ohnehin schon knappe Personaldecke noch weiter ausgedünnt habe.

In Kreuzberg dürfen derzeit sechs halbe und acht ganze Stellen nicht besetzt werden. Wenn die Senatsverwaltung für Jugend und Familie ihre Ankündigung wahr mache und die derzeitige Gruppenstärke von 15 auf 18 Kinder erhöhe, „dann wird das Betreuungsangebot wirklich gefährdet“, so Treskow. aku

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