: Zusammenleben ja – ethnische Teilung nein!
[...] Wir stehen heute vor der historischen Entscheidungsfrage der zukünftigen europäischen Geschichte: Lassen wir die neue Staatenordnung bestehen, so wie sie nach dem Willen ihrer Völker seit 1989 bis jetzt entstanden ist, oder lassen wir es zu, daß Staaten in Europa (und nicht nur in Europa) gewaltsam erobert, zerstört und aufgeteilt werden dürfen?
Diese Frage haben uns im ehemaligen Jugoslawien in erster Linie die serbischen Extremisten aufgezwungen, indem sie zuerst eine Reformierung Jugoslawiens blockiert haben und danach die neuen Staaten in Frage gestellt haben. Im Falle von Kroatien und Bosnien- Herzegowina haben sie dies durch Landeroberung und Völkermord getan. Leider hat die kroatische Regierung die Belgrader Zerstörungspolitik in Bosnien übernommen, nachdem die internationale Diplomatie bei ihren Vermittlungsversuchen die Kriegsziele der militärisch stärkeren Aggressoren indirekt akzeptiert hat. Man kann kritisch zum Prozeß der Anerkennung von Slowenien und Kroatien stehen, weil hier keine Gesamtlösung für den exjugoslawischen Raum gesucht wurde, aber man muß noch viel kritischer stehen zum Versuch von Milošević, die neuen Staaten durch Völkermord zu zerstören. [...]
Hier wird politisch gebilligt, daß der stärkere Angreifer (Serbien) einen Nachbarstaat (Bosnien) nach ethnischen Kriterien gewaltsam aufteilt, und noch schlimmer: daß er die ethnische Homogenität durch Genozid und Vertreibung überhaupt erst schafft. [...]
Welche Positionen nimmt das wirklich größer gewordene Deutschland ein? Außenminister Kinkel entscheidet wie eine Fahne im Wind. Je nachdem, was in Washington, London und Paris gerade vertreten wird, es ist dann auch die deutsche Position. Wenn sich die Westmächte nicht einig sind, was meistens der Fall ist, hat Deutschland gar keine politische Position.
Was will die Europäische Union, was will die Nato gegenwärtig in Bosnien erreichen? Seit einigen Tagen wird heftig über Luftangriffe gegen serbische Stellungen um Sarajevo debattiert. [...]
Es geht in diesen Tagen nicht nur um Luftangriffe gegen serbische Belagerer von Sarajevo. Es geht nach wie vor um die Frage, ob gewaltsame Grenzkorrekturen zugelassen werden oder nicht. Es geht in Genf darum: Wird Bosnien geteilt oder nicht? Es geht nicht nur um die Prozente der Teilung; die „Prozente-Strategie“ von Owen hat den Krieg nur eskalieren lassen. [...]
Wir haben es hier nicht mit einem Sonderfall zu tun, weil in Bosnien drei große Religionsgruppen leben, die als drei ganz verschiedene Ethnien hingestellt werden, obwohl sie alle dieselbe Sprache sprechen. In Deutschland können Katholiken und Protestanten zusammenleben. In Bosnien können Katholiken, Orthodoxe und Muslime zusammenleben – wenn man sie zusammenleben läßt.
In Bosnien werden Muslime, Serben und Kroaten wieder einen modus vivendi finden, wenn die Zerstörungsgewalt von außen gestoppt wird. Doch wieviel Blut muß noch vergossen werden, bevor die Aggressoren in Schranken gewiesen werden?
In Sarajevo, Mostar und Tuzla leben immer noch Muslime und Kroaten und Serben. Die bosnische Regierung ist immer noch multinational. Es geht hier nicht um einen Krieg zwischen ethnischen Gruppen, sondern um einen Aggressionskrieg von militanten Rassisten gegen multikulturelle Zivilisten.
Es ist noch nicht zu spät. Wir müssen uns einsetzen, daß die Friedensverhandlungen auf der Grundlage der Souveränität, das heißt Unteilbarkeit Bosnien-Herzegowinas, geführt werden. Die Verhandlungen sollen in Sarajevo fortgesetzt werden, nicht in Genf. Das verstärkt die Sicherheit der bosnischen Hauptstadt. Der Flughafen von Tuzla muß für humanitäre Hilfstransporte geöffnet werden. Mostar muß unter die Verwaltung der EU kommen. Das sind die Grundlagen für eine gemeinsame Suche nach Lösungen am Verhandlungstisch.
Kriegsverbrecher aber haben am Verhandlungstisch nichts zu suchen. Sie müssen verurteilt werden, nicht nach ihrer Nationalität oder politischen Orientierung, sondern ausschließlich nach dem Grad der Verbrechen, die sie begangen haben.
Die Bundesrepublik Deutschland muß auf den kroatischen Regierungschef Tudjman Druck ausüben, damit er seine Politik gegenüber Bosnien ändert.
Es ist jetzt sehr wichtig, daß die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit ihren Nato-Partnern der russischen Regierung begreiflich macht, daß dem Westen an einem demokratischen Serbien genausoviel gelegen ist wie an Kroatien oder Bosnien. Die angekündigte Drohung gegen die Belagerer von Sarajevo gilt nicht dem serbischen Volk, sondern allen Verbrechern, die die zu Schutzzonen erklärten zivilen Orte angreifen.
Wir bosnischen Kroaten sehen Bosnien-Herzegowina als unsere Heimat an. Wir sind in der Mehrzahl gegen die Teilung von Bosnien und gegen die Teilung von Kroatien. Wir wollen ein friedliches Zusammenleben mit Muslimen und mit Serben auf der garantierten Grundlage der Gleichberechtigung. Zusammenleben ja – ethnische Teilung nein! [...] Gari Pavković, Stuttgart
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