: Handel: Die Großen sahnen ab
■ Konzentration in Einzelhandel nimmt zu / Monopolkommission für völlige Freigabe der Ladenschlußzeiten / Den Vorteil hätten die kleinen Handelsgeschäfte
Bonn (dpa/taz) – Die Monopolkommission hat der Bundesregierung empfohlen, die Ladenschlußzeiten völlig freizugeben. Damit könne der Wettbewerb im Einzelhandel belebt werden, sagte der Vorsitzende der Kommission, der Kölner Staatsrechtler Carl Christian von Weizsäcker, gestern in Bonn. Vor allem kleine Familienunternehmen könnten durch frei gewählte Ladenöffnungszeiten Vorteile im Wettbewerb mit Konzernen erzielen, den Großen Marktanteile wegnehmen.
Nach dem Bericht des Wissenschaftler-Gremiums, das sich nach eigenem Ermessen einzelne Wirtschaftssektoren unter Monopol- Gesichtspunkten vorknöpft, haben die Einzelhandels-Konzerne in den letzten Jahren deutlich an Marktmacht gewonnen. Nach Schätzungen von „MM-Eurodata“ und Lebensmittelzeitung steigerten die zehn größten deutschen Kaufhaus- und Supermarktketten ihren Marktanteil allein im letzten Jahr von 70 auf 74 Prozent.
Die Monopolkommission sorgt sich besonders um den Lebensmitteleinzelhandel: Zwischen 1984 und 1992 hätten die zehn größten Firmengruppen ihren Marktanteil von 40 auif 60 Prozent steigern können.
Die Wissenschaftler kommen trotzdem zu dem Schluß, daß der Wettbewerb im Handel gut funktioniert: Die Händler würden ihre Macht vor allem gegenüber den Produzenten einsetzen und für die Verbraucher günstige Preise herausschlagen. Vieles spricht aber dafür, daß der Konzentration im Handel auch die Konzentration in der Industrie folgen wird – eine Entwicklung, die zahlreiche Mittelständler ihrer Existenz berauben könnte. Daß es immer weniger kleinere Händler gibt, macht es außerdem für Newcomer immer schwerer, weil die Großen meist schon ihre eingespielten Lieferbeziehungen haben. Die Industrie hat nach Ansicht der Monopolkommission damit zu kämpfen, daß der Handel zunehmend international bis nach Ostasien preisgünstig einkaufen kann. Die Entwicklung stecke noch in den Anfängen.
Ein Nachlassen des Wettbewerbs sieht die Kommission trotz zahlreicher Firmenzusammenschlüsse nicht. Im Lebensmittelhandel bestehe auch zwischen Firmen derselben Unternehmensgruppe weiterhin wesentlicher Wettbewerb. Sie hätten es wegen der Produktvielfalt schwer, sich abzustimmen. „Der Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel funktioniert“, sagte von Weizsäcker. Gesetzesänderungen im Wettbewerbsrecht, die kleine Handelsunternehmen gegenüber den Großen bevorteilen würden, hält die Monopolkommission nicht für notwendig.
In den neuen Bundesländern sei eine schnelle Anpassung an die westdeutschen Strukturen zu beobachten. Die in den alten Ländern dominierenden Handelsunternehmen nähmen auch hier eine führende Marktposition ein. Die Kleingeschäfte aus DDR-Zeiten würden schnell verdrängt. Das liege an der massiven Ansiedlung neuer Verkaufsflächen in Stadtrandlagen, der Vernachlässigung der Revitalisierung des innerstädtischen Einzelhandels und einem Rückgang der Angebote in ländlichen Regionen.
Die SPD forderte, dem Bundeskartellamt durch Änderungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen mehr Möglichkeiten gegen Fusionen zu geben. Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) müßte dafür Vorschläge machen, sagte der SPD- Wirtschaftssprecher im Bundestag, Uwe Jens. Doch „Rexrodt schaut aufmerksam weg“, wenn es um die ungebrochene Konzentration im Handel gehe, so Jens.
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