Berlinale

Meine Chefin sieht nichts. Filmredakteurin und blind wie eine tote Eule. Gleich am ersten Tag der Berlinale kam ich ihr auf die Schliche. Ort: Pressecafe in der Kongreßhalle. Ich sitze mit Kollege Riepe an einem Tisch; wir vesuchen uns gegenseitig für „Little Buddha“ aufzupeppen („wird schon nicht so schlimm“, „muß man halt durch“) als unsere Redakteurin den Raum betritt. Sie schaut zunächst genau in unsere Richtung und lächelt, dann blickt sie sich suchend um. Ich winke, sie ignoriert mich und läßt sich schließlich an einem Tisch, fünf Meter von uns entfernt nieder. Sie lächelt immer noch, und ihre wunderschönen großen dunklen Augen schweifen wie Suchschweinwerfer durch den Raum. Dabei blickt sie uns wieder direkt an. Ich stehe auf und winke nun mit beiden Armen. Alle starren mich an, ein Japaner macht ein Foto von mir, aber sie merkt immer noch nichts.

Ein paar Tage später, gleicher Ort, gleiche Situation. Diesmal traue ich mich und rufe quer durch den Raum. Keine Reaktion. Schließlich drängele ich mich zwischen den Tischen hindurch und spreche sie, zehn Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt, an. Sie knipst sofort ihr herrliches Lächeln an: „Ah Karl, wo steckst du denn die ganze Zeit.“ Ich grinse — alles andere wäre unhöflich. Vorgestern. Das Pressecafe ist überfüllt, alle warten auf „Im Namen des Vaters“. Ich setzte mich auf die Treppe davor, die Chefin naht. Als sie auf gleicher Höhe mit mir ist, ungefähr eineinhalb Meter entfernt, rufe ich ihren Namen. Sie bleibt stehen, schaut nach rechts (ich sitze links). Ich rufe noch einmal. Sie wirbelt herum, und checkt die Halle. Ich stehe auf, lasse beide Arme wie Windmühlenflügel kreisen und brülle dabei. Es klappt: „Ah, hallo Karl, ich hätte dich fast nicht gesehen.“

Sie hat noch etwas zu erledigen und bittet mich, einen Platz für sie freizuhalten, „aber ganz vorne“. Ich nicke, ich weiß Bescheid. „Zweite, oder dritte Reihe genau in der Mitte?“ frage ich. „Perfekt!“, meint sie. Als sie dann auftaucht, strahlt sie: „Ich habe dich sofort gesehen“. „Kunststück“, sage ich, „ich hab' dir ja auch vorher die genauen Koordinaten meiner Position durchgegeben.“ Sie lacht und wechselt das Thema: „Wir sollten mal wieder Doppelkopf spielen“. „Gerne“, antworte ich und lade sie zu mir nach Hause ein. Jetzt muß ich nur noch die 100-Watt-Birnen gegen solche mit 40 Watt austauschen und mir Spielkarten mit blassen Farben und winzigen Ziffern drauf besorgen. Dann müßte da eigentlich ein prima Nebenverdienst drin sein. Karl Wegmann