Das Muffeln der Siegerin

Katja Seizinger gewann die Olympia-Abfahrt, konnte sich aber kaum ein Lächeln abringen / Trauer tragen Österreich und die Schweiz  ■ Aus Kvitfjell Cornelia Heim

„The winner takes it all.“ Am Samstag gebührte Katja Seizinger das ungeteilte Interesse. Was tut's zur Sache, daß sich die 21jährige in ihrer Siegesstunde nach einem fehlerlosen Abfahrtslauf in Kvitfjell nicht in Siegerlaune präsentierte? Andeutungsweise formt sie die Hand zu einer Faust, als sie mit Startnummer drei in einer Schneestaubwolke im Zieleinlauf abbremst. Eine unscheinbare Geste. Keine Gefühlsregung. Cheftrainer Rainer Mutschler meint, „Pulverturm“ Katja neige nun einmal dazu, pampig zu reagieren. Positiv sei dafür ihr unbändiger Ehrgeiz. Kein Patzer, alle drei Sprünge in ökonomischer Hocke genommen. Um 11.05 Uhr stand die Olympiasiegerin fest. Ein Rennen ohne Spannung. Weil die Favoritin widerlegte, was sich auf allen alpinen Pisten bislang zur Gesetzmäßigkeit entwickelt hatte – bei Olympischen Spielen gewinnen die, die man nicht auf der Rechnung hat. Katja Seizinger gewann. Und zeigte soviel Emotionen wie ein britischer Bobby vor dem Big Ben.

„Ihr Zeitungen wißt doch eh immer alles besser“, giftet sie in die vielen ausgestreckten Notizblöcke. Weil einer sich zu fragen erlaubt, ob es denn stimme, daß sie mit einer Wut im Bauch besser fahre, wie Rainer Mutschler behauptet hat. Die Olympiasiegerin schaut grimmig drein: Ihr Ausscheiden im Super-G habe sie gar nicht berührt, weil sie ja im oberen Streckenabschnitt Bestzeit gefahren sei. Und schon ist sie fort, weitergereicht zum nächsten Medienauftritt. Immer umringt von einer Traube Menschen, Mikrofonen, Kameras. „The winner takes it all.“

Auf der anderen Seite steht Veronika Stallmaier. Das Lachen ist auch ihr vergangen. Nicht so sehr, weil sie abgeschlagen auf Rang 14 gelandet war und damit auch noch die zweifelhafte Ehre besaß, einsames Aushängeschild einer dereinst etablierten Skination namens Österreich zu sein. Nein. Veronika Stallmaier hat die „Freude am Skisport verloren“. Die Lippen werden schmal, die Worte stolpern langsam über die Lippen. „Noch beim Liften habe ich an die Uli gedacht.“ Sie schluckt. „Sie war unsere Beste, ein toller Kumpel, eine tolle Skifahrerin.“ Jetzt ist sie nicht mehr dabei im Zirkus, der auf Hochgeschwindigkeit tourt – Ulrike Maier, ums Leben gekommen in Garmisch, auf den Brettern, die für viele die Welt bedeuten. Für ihre Freundin Veronika nicht mehr: „Was soll's, ob man eine Medaille macht oder nicht? Das ist alles nicht mehr wichtig.“

Sie zeigt auf den Kringel, hinter dem sich die Siegerin verbirgt. „Es ist so ungerecht.“ Sie schaut zu Boden. „Dort jubeln alle.“ Pause. „Und die Uli ist nicht mehr dabei.“ Katja Seizinger sagt derweil, daß es sicherlich noch besser gehe. Sie im Mittelstück noch „kleine Unsicherheiten“ gezeigt habe. Und Martina Ertl, die überraschend Vierte wurde, freut sich „für die Katja, die es wie keine andere verdient hat, hier zu gewinnen.“

„Ich bin froh, wenn ich auf diesen Unfall angesprochen werde, endlich drüber reden darf“, erzählt Veronika Stallmaier, „das hilft mir, drüber wegzukommen.“ Psychologische Unterstützung haben die Österreicherinnen nach dem Tod ihrer Freundin und Teamkollegin nicht bekommen. „Das Leben ging weiter.“ Wie immer.

Miriam Vogt, die 12., schaut derweil auf den nächsten Wettbewerb: „Neues Rennen, neues Glück“, meint die Kombinations- Weltmeisterin des Vorjahres.

Mittlerweile hat sich die Arena geleert. Übriggeblieben, auf der Seite, wo die Fotografen und Fernsehanstalten hinter ihren Laufställen aus Gitterstäben die Objektive visieren und die Mikros lancieren: die Olympiasiegerin. Cheftrainer Mutschler betont, sie sei „volle Kanne“ gefahren. Korrigiert sich irritiert vom eigenen Ungestüm noch einmal, „ist aber kein unnötiges Risiko eingegangen.“ Auf der anderen Seite des Gatters, wo kein Tele lauert, die verlassene Österreicherin. Die Fragen nach dem schlechten Abschneiden ihrer Mannschaft über sich ergehen läßt, mit der stoischen Miene einer, die der ganze Trubel hier nichts mehr angeht: „Was ist heute schon gut? Was schlecht?“ fragt sie bitter. „Die eine hat einen besseren Ski“, was bis zu 30 Prozent ausmache, „und fährt besser in die Kurven“. Das sei alles, was zwischen oben und unten entscheide. „Wennst gewinnen sollst, dann gewinnst auch. Wenn net, bist auch net schlecht.“ Aber: The winner takes it all.

Picabo Street heißt die Zweitplazierte aus US-Amerika, deren grau bezopfter Vater Roland mit einer Kuhglocke um den Bauch und einem körpergroßen US-Banner über dem Rücken von seiner Hippie-Zeit plauderte und von „Picabo“, einem Versteckspielchen, das seiner Tochter den Namen gab, der bei den Indianern „Leuchtendes Wasser“ bedeute. Töchterchen Picabo plappert unterdessen von der Zentnerlast, die von ihr gefallen sei, weil sie „ihre Arbeit“ getan habe, ja, gut getan habe. Die Strohblumen von der Siegerehrung in ihrer linken Hand sehen aus wie ein Grabgesteck.

Vier Medaillen in vier alpinen Disziplinen für die Vereinigten Staaten, die Sports illustrated zuvor als Verlierer in den Wind geschrieben hatte: „Warum fahren alle sieben Millionen Österreicher und die Hälfte der schweizerischen Kühe schneller als das gesamte US-Ski-Team?“ Von wegen. Bei Olympia sahnen die Amis ab, und die Alpenländer fahren den amerikanischen „bisons“ hinterher. Eine Erklärung des Schweizer Chefcoaches Angelo Maina: „Unfälle machen Eltern Angst. Sie schicken ihre Kinder nicht mehr in risikoreiche Sportarten.“