: Nachlaß eines Minimalisten
■ Gesammelte Werke des kürzlich verstorbenen Donald Judd in Wiesbaden
Donald Judd, der am letzten Samstag im Alter von 65 Jahren in New York gestorben ist, war ein Perfektionist, durch und durch. Er hat jedes seiner Werke bis ins kleinste durchkonzipiert und detailgenau ausarbeiten lassen. Dieses Streben nach hoher formaler Qualität im Sinne von Einfachheit und Klarheit führte den amerikanischen Künstler – einer der Stars der Minimal art seit den frühen sechziger Jahren – fast zwangsläufig zur Architektur und zum Design. So wurde er aus dem Verlangen nach idealen Räumen für den Eigenbedarf zum Bauherrn, aus der Verzweiflung über die regulär erhältlichen Möbel in der westtexanischen Kleinstadt Marfa, in die er 1971 mit seinen beiden Kindern übersiedelte, zum Möbelgestalter. Vor allem diese gelungene Integration von Kunst und Design würdigte die Anton-Stankowski-Stiftung, die Judd zu ihrem Preisträger 1993 ernannte.
Allzu verständlich erscheint bei diesem übergreifenden ästhetischen Anspruch Judds Wille, die Installation eigener Arbeiten weitgehend in der Hand zu behalten. Diese Form von künstlerischer Rigorosität resultiert nicht zuletzt auch aus der Unzufriedenheit mit herkömmlichen Ausstellungsmöglichkeiten. 1982 schrieb Judd, der sich lange Jahre als Kunstkritiker betätigt hat, über „The Importance of Performance“: „Die Galerie ist einigermaßen zu kontrollieren, der öffentliche Raum, so begrenzt er ist, bis zu einem gewissen Grad, der gläserene Bungalow des Sammlers überhaupt nicht. Viele Besitzer von Kunstwerken installieren diese sehr schlecht; da kann man nur sehr wenig erwarten. Das Museum sollte ernsthaft und kompetent sein, aber es ist eine Enttäu
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schung und ein Fehlschlag.“ Harte Worte, deren Konsequenz nur Resignation oder die größtmögliche Autonomie vom Kunstbetrieb sein kann. Judd wählte schon früh den zweiten Weg und setzte seinen Traum von einem idealen Museum zunächst in einem alten Lagerhaus in New York, dann in einer Reihe von Gebäuden in Marfa in die Realität um.
Rätselhaft bleibt vor diesem Hintergrund, wie Judd sich mit einer Schau seiner Werke im Museum Wiesbaden arrangieren konnte. Der Ort der Präsentation zählt zu jener fast ausgestorbenen Spezies von Museen, in denen naturkundliche und kulturhistorische Exponate noch unter einem Dach mit der bildenden Kunst gezeigt werden. Doch ist dies nicht das einzige Problem der Schau.
Vielmehr ist es die Architektur selbst, die Judds Werken zu schaffen macht. Ein besonderes Merkmal des kurz nach der Jahrhundertwende erbauten Hauses ist seine labyrinthische Verschachtelung kleiner Kabinette. Die größeren Säle sind mit Jugendstillampen bestückt, von Säulen unterbrochen, die Decken stuckiert oder durch ornamentierte Zwickel akzentuiert. Einige der Räume haben reizvolle oktogonale Grundrisse. Kurzum, die räumliche Situation ist alles andere als neutral, die Beleuchtung alles andere als gleichmäßig. Die minimalistischen Kunstwerke Judds, die aber solche Bedingungen benötigen, weil sie nur unter ihnen ihre volle Wirkung entfalten können, scheinen deshalb in Wiesbaden zu ersticken. Ein Blick in den Katalog, der die vom Künstler selbst eingerichteten Installationen in New York und Marfa zeigt, macht diese Diskrepanz um so deutlicher. In großzügigen, von Tageslicht durchfluteten Räumen und Hallen – Judd ließ unter anderem einen alten Flugzeughangar umbauen – läßt sich das Konzept Judds visuell erfahren. Was seinen Vorbildern Kasimir Malewitsch und Josef Albers das Quadrat, war Donald Judd das Rechteck. Die rechtwinklige, geometrische Form bildet den Infinitiv seiner Arbeiten, den er in allen Zeiten und Personen durchkonjugiert. Weniger statisch und absolut, weniger ikonographisch aufgeladen als Quadrat oder Kreis, ermöglicht das Rechteck vielfache Variationen, die sich stets auf der strengen Basis des rechten Winkels bewegen. Etwa 1964 findet er seine bis heute gültigen, industriell gefertigten Materialien: Schichtholz, Aluminium, Stahl und Plexiglas. Es entstehen die berühmten offenen Kästen, die er übereinanderreiht. Durch die unterschiedlichen Farb- und Materialkombinationen der klaren Formkörper werden immer neue Eindrücke von Raum erzielt.
Mit einer Vielzahl von Objekten werden in Wiesbaden alle Phasen von Judds Schaffen abgehandelt. Eine große Auswahl der starr wirkenden Möbel – laut Ausstellungskuratorin Renate Petzinger durchaus bequem – deckt diesen Bereich ab, und auch die Architekturentwürfe und Plakate kommen zu ihrem Recht. Last, not least brilliert die wunderbare Druckgraphik. Die Qualität der einzelnen Kunstwerke bleibt in Wiesbaden zwar immer spürbar, doch Donald Judds Idee läßt sich in Reinform nur bei einem Besuch in Texas erleben. Britta Färber
Die Ausstellung ist bis Ende Mai im Museum Wiebaden zu sehen.
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