Selbständig mit Staubfängern

Ortsbesichtigung: Die „Freunde der Italienischen Oper“ in der Fidicinstraße – Bühnenbild- und Lichttechnik-Verleih, Beratungsstelle und last, but not least eben auch... Theater  ■ Von Anja Poschen

Der Bildhauer Kurt Mühlenhaupt gab dem Kreuzberger Gewerbehof hinter der Fidicinstraße 40, nahe am Wasserturm, seinen Namen. Er kaufte das Gelände, nutzte einen Teil für seine eigene Werkstatt und vermietete den Rest an Berliner Handwerker und Künstler weiter. Ein einsamer, inzwischen verfallener langer Schornstein zeugt noch von ganz alter Geschäftigkeit. Heute haben dort zwei Schlossereien, ein Fotoatelier, die Galerie tammen & busch, der Bildhauer Pit Kroke und die „ex pictoris“-Filmproduktion einen versteckten Platz für ihre Arbeit gefunden. Und ganz hinten, im zweiten Hof, fast verschämt in eine Ecke gedrückt, steht (zumindest bei sommerlichen Temperaturen) ein kleines Kassenhäuschen, das dem Theaterwilligen den Weg durch eine große Eisentür hinein ins Theater „Freunde der Italienischen Oper“ freigibt.

Die Berlin Play Actors gastieren hier, Bridge Markland, die Performancekünstlerin Lindy Annis, Gayle Tufts oder die Spezialisten für unbekannte amerikanische Theaterstücke, Out to Lunch. Wie erstaunlich verwandelbar die cirka 45 qm kleine Bühne in dem schwarzgestrichenen Raum sein kann, merken die, die sich bereits mehrere Produktionen dort angesehen haben. Wer das nicht getan hat, ist jedoch bestimmt schon einmal auf den bizarren Namen dieser Off-Theaterspielstätte gestoßen: Durch Billy Wilders „Some like it hot“ fühlte sich Bernd Hoffmeister von den Freunden nachhaltig angeregt: „Ich wollte schon immer mal einer Institution diesen Namen geben.“ Daß das nun ein freies Theater wurde, inzwischen ausschließlich für englischsprachige Gruppen, hat seine Wurzeln ganz woanders.

Angefangen hat alles irgendwann im Künstlerhaus Bethanien. Dort lernten sich der Theaterdekorateur Bernd Hoffmeister und der Bühnenbildner Martin Kamratowski bei einem Regieseminar kennen und gründeten den Verein „Theaterwerkstätten e.V.“: „Shakehand-Tours“ nennen sie ironisch ihre ersten Bemühungen, mit technischen Leitern großer Häuser in Kontakt zu kommen. Denn große Bühnen arbeiten unökonomisch – wird ein Bühnenbild nicht mehr gebraucht, landen die Einzelteile auf dem Schrott. Da müsse doch etwas für die freien Gruppen dabei sein, überlegten Hoffmeister und Kamratowski, und der Grundstein für einen zentralen Fundus, für ihr „Bühnenbild-Recycling“, war gelegt.

Ein Bühnenbild für einen Kasten Bier

Verschrotten kostet viel Geld, und so hatte das Duo auch Erfolg mit seinen Bemühungen. Zum Teil für einen Kasten Bier überließen Techniker den Theaterwerkstätten ganze Bühnenkonstruktionen oder Bühnenbildversatzstücke. Die Schaubühne war mit dabei, die Freie Volksbühne, das Schiller Theater und das Hebbel-Theater verscherbelten das, was in ihren Augen nur noch Müll war. Hoffmeister und Kamratowski mieteten ein altes Parkhaus in der Dresdener Straße, das zum Lagerort für den neugewonnenen Fundus umfunktioniert wurde und außerdem noch Platz bietet – gegen ein geringes Entgelt – für den Fundus anderer, freier Gruppen. (Ein Antrag beim Kultursenat, das Projekt doch zu unterstützen, wurde übrigens abgeschmettert!)

Anfangs war der Bühnenbildverleih „ein Gemischtwarenladen für alle, die uns sympathisch waren“, erzählt Hoffmeister. Werbung machen mußten die beiden nie. Die Resonanz war groß und funktionierte über das „Schneeballprinzip“: Die Akademie der Künste, das Künstlerhaus Bethanien, die Play Actors, die Berliner Kammeroper, das Freie Schauspiel oder die Tanzfabrik waren und sind bis heute dankbare Nutznießer der recycelten Bühnenbilder und/oder der Lagerräume. Und Kamratowski und Hoffmeister haben inzwischen dazugelernt: Die Erkenntnis, was brauchbar zum Recyceln ist und was nicht, ist größer geworden. Zuerst einmal wurde alles genommen, was sich so bot. Und so mancher Ladenhüter war dann leider auch dabei. Und mancher Staubfänger entpuppte sich erst nach Jahren als großer Renner: Bob Wilsons „Forest“ beispielsweise wollte damals partout keiner haben, heute sind fast alle Bäume verkauft und ein paar noch ausleihbar, ebenso Stoffe, Stellwände, Rahmenkonstruktionen, Rohmaterial und vieles mehr.

Vom Fundus zum Theater

Doch mit dem Bühnenbild-Recycling ist die Kreativität der beiden noch nicht erschöpft. Den freien Gruppen bieten sie weiterhin Tips und tatkräftige Mithilfe beim Bau ihrer Bühnen an. Hoffmeister und Kamratowski bauen in ihrer Werkstatt auf dem Kurt-Mühlenhaupt- Hof alles, was vornehmlich mit Aluminium, Stahl oder Schweißen zu tun hat. So entstand auch das explodierende Bühnenbild von Andrzej Worons „Das Ende des Armenhauses“ in ihrer Werkstatt, die sich übrigens nicht allein tragen kann, sondern aus der Vermietung des Lagerraumes in der Dresdener Straße mitfinanziert wird.

Und dann, Anfang 1990, verkleinerten Hoffmeister und Kamratowski den Raum ihrer Werkstatt, eine stabile Zwischenwand wurde eingezogen, und das Theater „Freunde der Italienischen Oper“ war geboren. Neben der Ausstattungshilfe für freie Gruppen sollte nun auch Raum für Theaterproduktionen geschaffen werden. Das Grundkonzept ist einfach: Der Raum wird vermietet, die Gruppen müssen sich um alles selbst kümmern, aber die Freunde sorgen dafür, daß alles leicht bedienbar ist. Ansonsten sind sie nur Schlüsselverwalter, und das Theater soll sich von selbst tragen. Was vor allem nach der klugen Entscheidung vor einem knappen Jahr, nur noch englischsprachige Gruppen zu zeigen, auch einigermaßen funktioniert, da sich der Raum nun zum Geheimtip für anglophile Theatergänger gemausert hat.

Alles ist machbar – und funktioniert auch

Sich nur nicht auf die faule Haut legen scheint das Motto der Freunde zu sein. Seit kurzem sind noch Klaus Altenmüller und Helmut Topp mit dabei und kümmern sich vornehmlich um das neueste, vierte Standbein in der Fidicinstraße, dem Verleih und Verkauf von Scheinwerfern und Lichtanlagen. Zu weitaus günstigeren Preisen als bei den üblichen Verleihfirmen können sich hier freie Gruppen von riesenhaften Verfolgern bis zu Minischeinwerfern alles ausleihen, was für ihre Produktion nötig ist. Und sollte das Gewünschte mal nicht zur Verfügung stehen, finden die vier Freunde schon einen Weg. Darauf kann man sich verlassen: alles ist machbar. Alles in der Fidicinstraße scheint nach diesem amerikanischen Prinzip zu funktionieren. Und es funktioniert auch.