: EU: Polens Bauern schimpfen
Dabei haben sie ihr Exportkontingent bei weitem nicht ausgenutzt / Erfolg hat, wer eine, wenn auch kleine, Marktnische findet ■ Aus Rawa Mazowiecka Klaus Bachmann
Polens Landwirte jammern, darben und wählen links, denn vielen von ihnen hat die Einführung der Marktwirtschaft nur hochsubventionierte Konkurrenz aus dem Westen, teure Kredite und Absatzschwierigkeiten gebracht. Doch bei Maria Jarocinska und ihren Schafen ist von dieser Weltuntergangsstimmung nichts zu spüren. Dabei wurde die Mutter einer Tochter und Besitzerin von 66 Schafen, einigen Hühnern und zwei Hunden gegen ihren Willen Landwirtin – die Erbschafts- und Verwandtschaftsverhältnisse waren einfach so.
Doch obwohl ihr Einkommen real seit der Einführung der Marktwirtschaft auf etwas über ein Drittel zusammenschrumpfte, ist Jarocinska zufrieden. Seit neustem ziehen die Fleischpreise an, ihre Schafe sind in Westeuropa beliebt und ihr Auskommen damit gesichert. Die einzige Tochter studiert im 500 Kilometer entfernten Olsztyn (Allenstein). „Ich habe zuviel schlechte Erfahrungen mit Kommunisten gemacht“, weist sie alle landläufigen Argumente, früher sei es Polens Bauern besser gegangen, von der Hand. Jarocinskas Vater, ein vermögender Vorkriegsbeamter wurde nach dem Krieg von der kommunistischen Staatsmacht enteignet, der Familie blieben nur jene 16 Hektar, auf denen sie jetzt das Futter für die Schafherde anbaut.
„Bis 1989 konnte man alles verkaufen“, erinnert sie sich, „ich habe Nachbarn, die lebten damals von einer einzigen Milchkuh.“ Als 1989 die Zinsen stiegen, die Inflation sank und die Nachfrage zurückging, ließ sich der Nachbar mit der Milchkuh für ein Schmiergeld von umgerechnet 400 Mark vom Landarzt zum Invaliden erklären und zog sich im besten Mannesalter aufs Altenteil zurück. Maria Jarocinska dagegen zog Fachliteratur zu Rate, begann ihre Zucht zu pflegen, westliche Düngemethoden anzuwenden und ihre Schafe zu exportieren. Denn die Preise im Export liegen fünfmal so hoch wie für Schafe, die in Polen verkauft werden, was hauptsächlich daran liegt, daß kaum jemand in Polen Lamm- und Hammelkeulen mag.
Maria Jarocinska: „Vor sieben oder acht Jahren mußte ich 40 Lämmer verkaufen, um mir einen Traktor kaufen zu können. Heute muß ich mindestens 85 verkaufen.“ Sie ist stolz auf ihre Tiere, deren Wolle im nahegelegenen Lodz (Lodsch) Rekordpreise erzielt. Zu Hause lebt man allerdings von gekauftem Fleisch: „Wir würden es nie über uns bringen, eines unserer Lämmer selbst zu essen“, bekennt sie.
Jarocinska legt Wert auf die Feststellung, keine gewöhnliche Bäuerin zu sein. Im Dorf, mitten in Zentralpolen, eine Stunde von Warschau am Rand von Rawa Mazowiecka gelegen, gilt sie als unnahbar, wird heimlich beneidet und bewundert. Sie interessiert sich für Politik, spricht Englisch und hat einen Schrank voller Bücher. Ihr Mann hat einen automatischen Thermostat zum Energiesparen gebastelt, die Tochter studiert Agrarwirtschaft.
Daß Polens Bauern ihre Freizeit zumeist damit verbringen, auf die Regierung, die EU, das Ausland und die Juden zu schimpfen, führt sie auf deren eigene Dummheit zurück: „Hier im Dorf haben die Analphabeten einen Rosenkranzkreis gebildet. Hier gibt's ein paar alte Weiber, die behaupten, sie hätten den bösen Blick, und genug andere, die daran wirklich glauben. Hexen im 20. Jahrhundert, können Sie sich das vorstellen? Die kippen tonnenweise billigen und wertlosen Dünger aufs Feld und wundern sich dann, daß bei mir fünfmal soviel Weizen pro Hektar wächst wie bei ihnen.“ In Polen arbeiten knapp 40 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft, in Österreich etwas über fünf Prozent, davon viele unter extremen Bedingungen in den Alpen, trotzdem erwirtschaftet Österreich Überschüsse. Maria Jarocinska ist eine der wenigen Bäuerinnen, die sich darüber im klaren sind, daß keine polnische Regierung diesen Zustand auf Dauer aufrechterhalten kann. „Wir haben 16 Hektar und sind zu zweit“, gibt sie zu, „aber selbst wir haben manchmal nichts mehr zu tun. 16 Hektar ist viel für polnische Verhältnisse, aber objektiv ist es wenig. Hier gibt's Leute, die haben zwei Hektar und bilden sich ein, sie könnten davon leben.“
Zu kommunistischen Zeiten, als die Nachfrage riesig, Energie, Transport, Düngemittel und Betriebsmittel subventioniert waren, da war das kein Problem. Doch ausgerechnet Polens Bauern, dem einzigen Berufszweig, der zur überwältigenden Mehrheit seit Jahrzehnten privat ist, fällt es am schwersten, von diesen Zeiten Abschied zu nehmen. Viele Betriebe sind Zwergwirtschaften mit einigen Hektar, die oft genug noch kilometerweit auseinanderliegen und nur schwach mechanisiert sind. Die Konkurrenz mit westlichen Betrieben und den Subventionen aus Brüssel durchzuhalten, haben sie keine Chance. Innovationen gegenüber aufgeschlossen sind sie auch nicht sonderlich.
Doch gerade Jarocinskas Beispiel beweist: In der Spezialisierung liegt das Heil. Denn im abgelaufenen Jahr hat Polen nur drei Viertel seines Exportkontingents in die EU überhaupt ausgenutzt. Statt Überproduktion hat Polens Landwirtschaftsminister nun ein anderes Problem: Es gibt zuwenig Schafe. Bisher waren die blökenden Vierbeiner für Polens Bauern wenig attraktiv, denn die Wolle erzielte schlechte Preise, und die Textilindustrie lag darnieder. Auf die Idee, das Fleisch zu exportieren, scheint kaum jemand gekommen zu sein. Jetzt dagegen soll die Schafhaltung mit staatlich subventionierten Billigkrediten gefördert werden, aus Furcht, andere Länder könnten in die Bresche springen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen