: Zuversicht aus dem Keller
CDU-Parteitag: Helmut Kohl ist siegessicher ■ Aus Hamburg Hans Monath
Am Ende seines großen Motivationsversuchs am ersten Tag des Hamburger Parteitages war Helmut Kohl an dem Ort angelangt, den seine Partei den Umfragen zufolge seit Monaten nicht mehr verlassen hat: im Keller. In einem Hamburger Keller des Jahres 1946 nämlich spielt eine Szene aus den Erinnerungen des amerikanischen Ex-Diplomaten Vernon Walters, die dem CDU-Parteichef und Bundeskanzler als Beweis für den unerschütterlichen Optimismus und die Tatkraft der Deutschen diente. In dem ärmlichen Raum der zerbombten Stadt, so zitierte Kohl aus einem Buch Walters, hatten die Bewohner damals trotz ihres Elends Blumen auf den Tisch gestellt. Was damals reales Elend war, so Kohls Botschaft, ist heute nur das Produkt der Medien, die „Miesmacherei und Pessimismus“ verbreiten – und deswegen um so leichter zu überwinden. Mit bewegter Stimme trug Kohl die Episode aus dem Keller vor, um schließlich zur Zuversicht zu mahnen: „Sorgen wir dafür, daß wieder Blumen auf dem Tisch stehen.“
Wenn sieben Minuten stehender Ovationen ein Beweis für die Wirkung einer Rede sind, dann hat es Helmut Kohl auf dem bis Mittwoch dauernden Parteitag der CDU in Hamburg gestern tatsächlich geschafft, seiner arg gebeutelten Partei neue Motivation zu geben. Die rund 1.000 Delegierten dankten es dem Parteivorsitzenden, indem sie ihn siebenmal vom Vorstandstisch hochklatschten. Fast eineinhalb Stunden lang hatte der Bundeskanzler zuvor seine Parteimitglieder im Congress Centrum Hamburg immer wieder zur Geschlossenheit im Superwahljahr '94 gemahnt und der Partei Kampfeswillen einzuimpfen versucht.
An den miserablen Umfrageergebnisse, die in der CDU seit Monaten auf die Stimmung drücken, ging Kohl nicht wortlos vorbei. Siegeszuversichtlich gab er sich öffentlich trotzdem, was ihm nach seinen eigenen Worten bislang wenige abnahmen: „Viele gucken mich im Moment an wie einen etwas abartigen Vogel.“ Aber auf Umfrageergebnisse will sich Kohl nicht verlassen, sondern auch die „Wellen der Sympathie“, die ihm auch schon in anderen schwierigen Lagen immer wieder geholfen hätten. Mit dem Bann drohte Kohl all jenen parteiinternen Kritikern, die an der Regierungsarbeit herummäkeln oder an seiner Siegeszuversicht Zweifel anmelden. Und die Delegierten reagierten dankbar auf diese Mahnung. Mit donnerndem Applaus dankten sie Kohl für die mehrmals wiederholte Variation einer Botschaft, die kurz gefaßt lautet: „Wer sich jetzt profiliert zu Lasten des Ganzen, schließt sich selbst aus der Gemeinschaft aus.“
Vom Elend der Arbeitslosigkeit war in der Rede des Vorsitzenden wenig die Rede, von fremdenfeindlichen Ausschreitungen Rechtsradikaler in Deutschland gar nicht. Den Delegierten wie den Wählern präsentierte sich unter dem meterhohen Plakat mit dem Motto „Deutschland – Wir packen's an“ ein Bundeskanzler, der vor allem auf dem Feld der Außenpolitik für Verläßlichkeit und Gewicht stehen soll, der im Ausland mehr als alle anderen deutschen Politiker „Vertrauen“ (Kohl) genießt. Auf das Bismarck-Wort, wonach sich in der Außenpolitik das Schicksal einer Nation entscheide, berief sich Kohl in dem Versuch, die sozialdemokratische Opposition und ihr möglicher Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen als unerfahren und wenig verläßlich vorzuführen: „Sie würden das Land wieder in die internationale Isolierung führen.“ Im Blick auf die Weigerung der Sozialdemokraten, sich an Kampfeinsätzen der UNO zu beteiligen, warf Kohl dem Gegner vor: „Das ist nicht Politik, das ist ein Elend für unser Land – und deswegen müssen wir auch die Wahlen gewinnen.“ Der SPD warf Kohl auch vor, sich in den 80er Jahren vom Ziel der deutschen Einheit verabschiedet zu haben, indem sie bereit gewesen sei, die DDR-Staatsbürgerschaft anzuerkennen und praktisch 17 Millionen Landsleute „auszubürgern“.
Zu einer in der CDU nicht unumstrittenen Festlegung bekannte sich Kohl in der Europafrage: Die Europäische Union soll seinen Worten nach „bundesstaatlich organisiert sein“ – eine Formulierung, die erst vor wenigen Tagen wieder vom CDU-Bundesvorstand aufgenommen worden war.
Die unzufriedenen Parteimitglieder forderte der Vorsitzende auf, ihre Meinung auf dem bis Mittwoch dauernden Parteitag zu artikulieren. „Und danach“, so Kohl, „ist Schluß.“
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