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Scheibenwischer will nach Amerika

■ Kostenloser Service an der roten Ampel: gute Laune und saubere Scheiben / Trinkgelder willkommen / Neue BMWs und Goldkettchen-Träger werden jedoch nicht bedient

An der Kreuzung hüpft ein junger Mann in speckigen alten Klamotten und tief ins Gesicht gezogener Wollmütze von einem Fuß auf den anderen. Neben ihm steht ein Eimer mit heißem Wasser und eine Flasche Spülmittel. Auf der Straße tost der Berufsverkehr. Die Ampel wechselt von Gelb auf Rot. Mit einem gewaltigen Satz hechtet der Mann auf die Fahrbahn und baut sich vor einem verbeulten Daimler auf. Grinsend bedeutet er dem verdutzten Fahrer mit Handzeichen, daß die Frontscheibe eine Reinigung vertragen könnte, und seift drauflos: „Das ist der kostenlose Gute-Laune-Service.“ Der amüsierte Fahrer hat gerade noch Zeit, dem jungen Mann ein Markstück zuzuschieben, bevor die Motoren aufheulen und es Grün wird.

Der 22jährige Pole Robert beherrscht sein Handwerk perfekt. Bei einer Rotphase von mindestens 25 und maximal 45 Sekunden muß jeder Handgriff sitzen. Robert kam vor zwei Jahren von Lodz nach Berlin, wohnt in einem besetzten Haus und verdient sich mit der Scheibenwäsche seinen bescheidenen Lebensunterhalt. „Ich bettle nicht, ich arbeite“, betont er auf englisch. Reich werde er damit aber bestimmt nicht. Bei den jetzigen Minusgraden hält er es trotz fünf Pullovern und zwei langer Unterhosen nur kurze Zeit an seiner Lieblingskreuzung an der Leipziger/Ecke Friedrichstraße aus. Außerdem, so seine Erfahrung, sind viele Berliner mißtrauisch und unfreundlich. „Abends wagen sie nicht, die Fenster runterzukurbeln. Und wenn sie dann noch hören, daß ich Pole bin, denken sie sofort an Diebe“, schimpft Robert.

Im Sommer laufen die Dinge besser. „Dann nehme ich meine Freunde und einen Kassettenrecorder mit, und wir machen an der Ampel viel Spaß.“ Um ein Geschäft im herkömmlichen Sinne handele es sich jedoch nicht, denn das würde die Polizei nicht dulden. „Die Fahrer dürfen sich nicht genötigt fühlen, darum betone ich auch immer: alles kostenlos.“ Gegen ein kleines Trinkgeld habe er natürlich nichts einzuwenden, gibt er feixend zu. „Als reiner Sport wäre mir der Job in den Abgasen auf Dauer zu anstrengend.“

Mittlerweile kennt Robert seine Pappenheimer genau. Um 60 Prozent der Autos macht er von vornherein einen Bogen. Vor allem um neue BMWs, weil es mit diesen Fahrern „nur Probleme gibt“. Auch Träger von Goldkettchen, neuen Levis-Jeans und Adidas- Schuhen entpuppen sich meist als Scheusale. Entweder versuchen sie den Wagen über die Füße des Putzers rollen zu lassen, oder sie stellen den Scheibenwischer an, um die Finger zu verletzen. Oberste Regel beim Nahen der Wagenkolonne ist für Robert deshalb: möglichst ein älteres Auto mit einem „freakigen Fahrer“ aussuchen, „denn die sind am nettesten“.

Nach zwei Stunden an der Kreuzung ist Robert klatschnaß. Mit steifen Fingern zählt er die Tageseinnahmen: ganze achtzehn Mark. Bis er sich das ersehnte Ticket nach Amerika leisten kann, wird wohl noch viel Zeit vergehen. Vielleicht sollte er, genauso wie sein Freund, einen Umweg über London machen. „Dort“, schwärmt er, „kann man im Sommer mit Scheibenputzen crazy money machen: zweitausend Pfund im Monat.“ Plutonia Plarre

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